Süddeutsche Zeitung

NSU-Prozess:Des Rudels Kern

Die Anwälte der NSU-Opfer haben viele Fragen an die beharrlich schweigende Beate Zschäpe: Was hat sie wann gewusst? Immer wieder fällt ein Wort: warum?

Von Annette Ramelsberger

Gleich die allererste Frage trifft den Kern. Sie zielt genau auf das, was auch nach 295 Verhandlungstagen im NSU-Prozess noch immer im Dunkeln liegt. Die Frage nach dem Warum. Rechtsanwalt Sebastian Scharmer stellt sie. Er vertritt die Tochter von Mehmet Kubasik, der am 4. April 2006 in Dortmund vom NSU ermordet wurde. Scharmer fragt Beate Zschäpe: "Wissen Sie, warum und wie Enver Şimşek, Abdurrahim Özüdoğru, Süleyman Taşköprü, Habil Kılıç, Mehmet Turgut, İsmail Yaşar, Theodoros Boulgarides, Mehmet Kubaşık, Halit Yozgat und Michèle Kiesewetter als Mordopfer ausgesucht wurden?" Es ist die Frage aller Fragen. Beate Zschäpe schaut Scharmer nicht an. Und ihr Wahlverteidiger Hermann Borchert sagt gleich: "Es ist vorauszusehen, dass die Fragen wohl nicht beantwortet werden."

Dennoch fragen Scharmer und seine Kollegen unverdrossen weiter. Es ist eine Premiere in diesem langen Prozess. Zum ersten Mal dürfen auch die Verteidiger der anderen Angeklagten und die Nebenkläger direkt Fragen an die Hauptangeklagte stellen - bisher hat sich dies das Gericht vorbehalten. Drei Fragerunden hat das Gericht schon hinter sich gebracht. Zschäpes Anwälte Hermann Borchert und Mathias Grasel feilen jeweils wochenlang an den Antworten ihrer Mandantin. Spontan geht hier nichts. Es geht ja auch um jeden Halbsatz, jeden Zungenschlag - jede Antwort ist für Zschäpe höchst brisant. Der Richter fragt vorneweg trotzdem: "Werden die Fragen sofort beantwortet?" Borchert sagt, fast entrüstet: "Mit Sicherheit nicht."

Dann geht es über Stunden, es sind Hunderte Fragen, die auf Zschäpe einprasseln. Und schon in der ersten Pause beratschlagt sie sich ernst mit ihren Anwälten. Denn all diese Fragen zielen darauf ab, ob sie nicht doch in die zehn Morde des NSU verwickelt war - sie selbst sagt, sie habe immer erst im Nachhinein davon erfahren. Gleich am Anfang zeigt Rechtsanwalt Scharmer mehrere Bilder, die auf Datenträgern im Unterschlupf des NSU gefunden wurden: Eine Ausspähfahrt nach Stuttgart offensichtlich, dabei wurden Fotos von verschiedenen türkischen Imbissen gemacht. Ein Foto stammt laut Zeitstempel vom 25. Juni 2003 in Stuttgart. Und das nächste Bild zeigt Zschäpe neben Uwe Böhnhardt in kurzen Hosen auf einem Sofa - nur einen Tag später. Wo dieses Bild am 26. Juni 2003 um 18.21 Uhr denn aufgenommen wurde, fragt Scharmer. Er will wissen, ob das auch in Stuttgart oder Umgebung war - was bedeuten würde, dass Zschäpe bei den Ausspähfahrten dabei war. Dann wäre ihre Aussage, sie habe nichts von der Vorbereitung der Morde gewusst, erschüttert.

Die Nebenkläger kreisen Zschäpe mit ihren Fragen immer weiter ein. Es geht dabei scheinbar auch um nebensächliche Dinge - die aber Schlussfolgerungen auf ihr Leben zulassen: Warum die Gruppe die Treffen mit den Eltern von Uwe Böhnhardt im Untergrund plötzlich aufgab, mit wem der beiden Uwes sie wann liiert war, ob die Männer im Untergrund auch Beziehungen zu anderen Frauen und möglicherweise mit ihnen Kinder hatten und wem die rosaroten Kindersandalen gehörten, die im Wohnmobil von Mundlos und Böhnhardt gefunden wurden? Größe 33.

Aber die Anwälte der Opfer haben auch Hinweise auf andere Anschläge ausgegraben, die aus der Gruppe der Jenaer Rechtsradikalen heraus verübt worden sein könnten - und sie fragen Zschäpe nun: Ob sie an der Verbrennung einer Puppe in Jena im November 1995 beteiligt war? Ob sie weiß, wer 1994 eine Bombenattrappe in einem Hochhaus ablegte, in das Flüchtlinge einziehen sollten. "Wenn ja, schildern Sie bitte Einzelheiten." Und sie wollen wissen, warum Zschäpe nach eigener Aussage zwar nach dem Mord an der Polizistin Michele Kiesewetter wütend auf ihre Freunde losging, nicht aber nach den Morden an den neun Migranten. Auch hier ließe eine Antwort Rückschlüsse auf ihre Gesinnung zu.

Sie fragen nach Treffen mit Unterstützern, nach Helfern aus Nordrhein-Westfalen und nach einer Anlaufstelle des NSU in dem Ort Glauchau, die nie gefunden wurde. Obwohl der Ort Glauchau immer wieder auftaucht - auch in Zschäpes eigener Erklärung. Damit hat Beate Zschäpe weitere Einfallstore eröffnet.

Ihr Wahlverteidiger Borchert sagte in einer Pause, die Verteidigung werde die Fragen der Nebenkläger nicht beantworten, das würde ja Monate dauern. Allerdings zeigte er sich nicht verschlossen. "Wenn sich das Gericht einige Fragen herauspickt und sich zu eigen macht, dann werden wir selbstverständlich unser Wort halten und die Fragen beantworten", sagte er.

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Quelle:
SZ vom 07.07.2016
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