Süddeutsche Zeitung

NSU-Prozess:Der Zeuge mit der Kugel im Kopf

Schwer verletzt hat Polizist Martin A. einen Mordversuch überlebt, den die Neonazi-Gruppe NSU verantwortet haben soll. Im Münchner Prozess sagt er als Zeuge aus zu dem Heilbronner Verbrechen, bei dem seine Kollegin Michèle Kiesewetter starb. Unter Hypnose und beim Tatort-Besuch kam manche Erinnerung wieder.

Aus dem Gericht berichtet Annette Ramelsberger

MünchenSie hatten ihm in den Kopf geschossen, als er gerade Pause machte mit seiner Kollegin. Und als sein Körper hilflos aus der Tür des Einsatzwagens hing, da rissen ihm die Täter auch noch seine Pistole aus dem Holster und stahlen ihm sein Taschenmesser. Und nahmen sie mit wie Trophäen.

Ihn und seine Kollegin ließen sie liegen, auf diesem weiten Parkplatz in Heilbronn. Die junge Polizistin Michèle Kiesewetter, mit der er im Auto gesessen hatte, war tot - niedergestreckt durch einen Kopfschuss. Er selbst lag da, schwerst verletzt, mit einer Kugel im Kopf. Das war am 25. April 2007.

Wochen später ist der junge Mann wieder aufgewacht. In einem Krankenhaus. Und er wusste nicht, wo er war, was mit ihm los war. Er sah die Schläuche an seinem Körper und riss sie sich raus. Er hielt das für einen schlechten Scherz.

Er sah seine Mutter, die etwas von einem Unfall erzählte. Und er dachte, vielleicht hatte er einen Motorradunfall. Aber er hatte doch gar keinen Motorradführerschein. Und seine Mutter sagte immer nur, er habe einen Unfall gehabt. Mehr nicht, die Polizei hatte es ihr verboten.

Die Neonazi-Terroristen brüsteten sich mit dem Mord

Martin A. hatte die Erinnerung an die Tat verloren. Und bis zum heutigen Tag hat er sie nicht wiedergefunden. Martin A. ist der junge Polizist, den vermutlich Uwe Böhnhardt und Uwe Mundlos vom rechtsradikalen NSU überfallen und in den Kopf geschossen haben. Und die sich mit ihrer Tat in Heilbronn in ihrem Bekennervideo brüsteten.

Erst als dieses Video bekannt wurde, kam die Polizei auf die Täter von Heilbronn. Zuvor hatten sie all die Jahre nichts gefunden, obwohl die Polizei und auch der überlebende Polizist alles unternahmen, um seine Erinnerung zu wecken.

An diesem Tag im NSU-Prozess berichtet einer der Ermittler, was sie alles taten: Wie sie den jungen Kollegen schon am Krankenbett befragten, kurz nachdem er wieder ansprechbar war, 20 Minuten, länger konnte er sich nicht konzentrieren.

Wie sie ihm da erst mitteilten, dass seine Kollegin Michèle Kiesewetter tot ist, wie sie ihn zu sich nach Heilbronn einluden, wie sie mit ihm im Streifenwagen die Straßen abfuhren, mit denen er wohl auch mit seiner Kollegin gefahren war. Und wie sie ihn dann auch an den Tatort brachten.

Am Tatort kam manche Erinnerung wieder

"Er hatte einen Strauß Blumen für die Kollegin dabei und wollte am Tatort in stillem Gedenken an sie stehen", berichtet Kriminalkommissar Herbert Benschawel, der dabei war. Die anderen Polizisten waren in einiger Entfernung stehen geblieben. "Da kam der Kollege aufgewühlt zu uns und sagte, er wisse wieder, sie seien gefahren, sie hätten rückwärts eingeparkt, sie hätten im Auto gegessen, was sie vorher beim Bäcker gekauft hatten.

Bleich sei der junge Kollege in diesem Moment gewesen und schockiert, er, der sonst immer den professionellen Polizisten gab, trotz der Kugel im Kopf, deren Teile auch heute noch dort stecken. Und der sich so bemüht hat, wieder ins Leben zurückzukehren, der sogar studiert hat nach den Monaten im Krankenhaus, der in den Polizeidienst zurückging, obwohl er Gleichgewichtsstörungen hat, sein rechtes Ohr ist zerstört. Ein Mann, der fast "ein zu guter Zeuge" sein wollte, wie Ermittler Benschawel sagt.

Sogar unter Hypnose hat er sich befragen lassen. Da sagte er, zwei Täter seien von hinten auf sie zugekommen und seine Kollegin habe noch gesagt, nicht mal in der Mittagspause habe man Ruhe. Aber zu den Tätern konnte er nicht viel mehr sagen. Aber er spürte noch die Kieselsteine an der Wange, auf die er fiel, und erzählte davon, dass er sich an den Fluss erinnere, der dort vorbeifließt. Und er sagte, er habe nur Angst gehabt, dass seine Brille nicht zerkratzt.

Dass der Mann wieder auf die Beine kam, grenzt an ein Wunder. Noch immer ist ein Loch in seinem Kopf. Aber als er im Januar vor Gericht gehört wurde, kam von ihm kein einziger Satz der Klage. Nur dass er nicht mehr Polizist auf der Straße sein könne, das schmerze ihn, sagte er. Denn Streifenpolizist, das sei sein Traumberuf gewesen.

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SZ vom 05.02.2014/odg
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