NSU-Prozess:Der Tod der Vertrauten

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"Ich hatte und habe zu meiner Oma ein sehr inniges Verhältnis", hatte Beate Zschäpe einst über ihren Anwalt mitgeteilt. Jetzt hat die Hauptangeklagte ihre letzte Bezugsperson verloren. Das könnte Folgen für den Prozess haben.

Von Wiebke Ramm, München

Beate Zschäpe ist blass und wirkt niedergeschlagen, als sie am Dienstag den Saal A101 des Oberlandesgerichts München betritt. Am Tag zuvor hat die Hauptangeklagte im NSU-Prozess in der Justizvollzugsanstalt erfahren, dass ihre Großmutter im Alter von 93 Jahren gestorben ist. Zschäpe verliert in Anneliese A. ihre wichtigste Bezugsperson. Nach dem Tod von Uwe Mundlos und Uwe Böhnhardt war ihre Oma nach eigenen Angaben der einzige Mensch, zu dem sie eine enge emotionale Bindung hatte. Verteidiger Mathias Grasel bestätigte den Tod der Großmutter am Dienstagmorgen.

"Ich hatte und habe zu meiner Oma ein sehr inniges Verhältnis", hatte Zschäpe vor einem Jahr dem Gericht über ihren Anwalt mitgeteilt. Ähnliche Bedeutung hätten für sie nur Mundlos und Böhnhardt gehabt, mit denen sie fast 14 Jahre im Untergrund zusammenlebte. Ob sich Zschäpes Trauer auf ihre Verhandlungsfähigkeit auswirken und zu einer Verzögerung des Prozesses führen wird, bleibt abzuwarten. Der Vorsitzende Richter Manfred Götzl hatte zuletzt auf ein Ende der Beweisaufnahme gedrungen. Der Prozess wurde am Dienstag fortgesetzt, der Tod von Zschäpes Großmutter kam nicht zur Sprache. Götzl hielt den Tag jedoch kurz. Keine Stunde dauerte die Verhandlung.

Für Zschäpe fällt der Tod der Großmutter in eine schwierige Zeit. Der psychiatrische Sachverständige hat gerade in seinem vorläufigen Gutachten die Sicherungsverwahrung für Zschäpe nahegelegt, sollte das Gericht zu dem Ergebnis kommen, dass sie als Mittäterin Schuld an sämtlichen NSU-Verbrechen trägt. Der Psychiater sieht in diesem Fall eine Wiederholungsgefahr. Die mutmaßlichen Rechtsterroristen Zschäpe, Mundlos und Böhnhardt sollen zehn Menschen überwiegend aus rassistischen Motiven ermordet, mindestens zwei Sprengstoffanschläge und 15 Raubüberfälle verübt haben. Sollte das Gericht Zschäpe zu einer lebenslangen Freiheitsstrafe verurteilen, die besondere Schwere der Schuld feststellen und zusätzlich noch Sicherungsverwahrung anordnen, drohen ihr mindestens zwei Jahrzehnte hinter Gittern.

Sie sei ein "Oma-Kind", sagte Zschäpe bei ihrer Verhaftung

Zschäpe ist in Jena bei ihrer Großmutter aufgewachsen. Ihr Cousin, Stefan A., hatte vor Gericht von einem sehr herzlichen Verhältnis Zschäpes zu ihrer Oma berichtet. Die Großmutter habe sich in Zschäpes Kindheit um seine Cousine gekümmert, sie aus dem Kindergarten abgeholt, sie umsorgt. Sie sei ein "Oma-Kind", hatte Zschäpe bei ihrer Verhaftung im November 2011 gesagt. Ihre Mutter sah sie nur am Wochenende, die Beziehung zu ihr gilt bis heute als schwierig. Ihren leiblichen Vater rumänischer Herkunft hat Zschäpe nie kennengelernt, er ist im Jahr 2000 gestorben. Zschäpes Großvater starb bereits 1996.

So war es auch ihre Oma, die Zschäpe am letzten Tag ihrer Flucht besuchen wollte. Nachdem Zschäpe am 4. November 2011 kurz nach dem Tod von Böhnhardt und Mundlos die letzte Wohnung der mutmaßlichen NSU-Terroristen in Zwickau in Brand gesetzt hatte, war sie vier Tage mit dem Zug durch Nord- und Ostdeutschland geirrt. Zschäpes Irrfahrt endete in Jena. Ein Spürhund der Polizei konnte ihre Fährte bis in die Nähe der Wohnung verfolgen, in der ihre Oma gemeinsam mit ihrer Mutter gelebt hat. Zschäpe hatte ihre Oma seit 1998 nicht mehr gesehen. Zu einem Wiedersehen ist es an jenem Tag aus unbekannten Gründen dennoch nicht gekommen. Stattdessen suchte Zschäpe einen Anwalt auf und stellte sich der Polizei.

Einem Beamten des Bundeskriminalamts sagte Zschäpe im Jahr 2012, sie habe sich ihrer Oma erklären und sich entschuldigen wollen. Umgesetzt hat sie dieses Vorhaben wohl nicht: Die Telefonate, die Zschäpe freitags mit ihrer Großmutter von der Justizvollzugsanstalt aus geführt hat, wurden überwacht.

© SZ vom 14.12.2016 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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