NSU-Prozess:Das Gericht hat eine historische Chance vertan

Proteste nach dem Urteil im NSU-Prozess

In Berlin protestieren Menschen gegen das Urteil im NSU-Prozess und fordern, dass der rechte Terror umfassend aufgearbeitet wird.

(Foto: dpa)

Nach der Verkündung des Urteils jubeln Neonazis auf der Tribüne. Die Versager im Verfassungsschutz werden weiter gedeckt. Das ist bitter, so wie alles im Fall NSU.

Kommentar von Annette Ramelsberger

Das sind keine guten Zeichen, wenn am Ende eines fünf Jahre dauernden, die Republik erschütternden Prozesses gegen eine neonazistische Terrorbande ausgerechnet die Neonazis auf der Besuchertribüne Applaus klatschen. Dieses Klatschen verrät mehr als hundert Seiten Urteilsbegründung. Es sagt: Vor dem Oberlandesgericht München hat ein historischer Prozess stattgefunden, doch das Urteil war alles andere als historisch.

Das Gericht hat eine Chance vertan. Es hätte die Bedeutung des Prozesses für die Gesellschaft deutlich machen können und es hätte das - nach 438 Verhandlungstagen, in denen das Land auf diesen Prozess schaute - auch deutlich machen müssen. Doch Richter Manfred Götzl und sein Senat haben sich lieber in den juristischen Elfenbeinturm zurückgezogen. Sie haben die mündliche Urteilsbegründung als Brosamen betrachtet, die man der Öffentlichkeit hinwirft. Kein Wort über das Versagen des Staates, kein Wort zur Wehrhaftigkeit der Demokratie, nicht mal ein Wort zu den Familien der Opfer.

Dieses Gericht wird alle Energie auf das schriftliche Urteil verwenden, das vor dem Bundesgerichtshof halten muss. Das ist den Richtern wichtig, davon hängt ihr Nimbus ab. Dass Menschen jenseits ihrer Sphäre das Urteil verstehen - zu vernachlässigen. Das offenbart einen juristischen Tunnelblick, das ist Ignoranz.

Reue lohnt sich nicht, Schweigen aber umso mehr

Sicher: Das Gericht hat Beate Zschäpe zu lebenslanger Haft verurteilt. Doch dieses Lebenslang überdeckt, dass fast alle anderen Angeklagten erstaunlich milde bestraft wurden. Warum, das hat sich auch Kennern des Prozesses nicht erschlossen. Zu oberflächlich ging das Gericht über Schuld und Unschuld hinweg.

Nebenbei verteilte es noch eine Ohrfeige an den einzigen Angeklagten, der echte Reue gezeigt hat. Carsten Schultze muss jetzt, 18 Jahre nach Übergabe der Tatwaffe an den NSU, in Jugendhaft, wo er "erzogen" werden soll. Dabei hat er sich längst selbst erzogen und tut alles, um seine Schuld abzutragen. Das Fazit: Reue lohnt sich nicht. Schweigen aber umso mehr. Die rechte Szene wird sich das merken.

Das Gericht hat ausgerechnet den sich als Nationalsozialisten brüstenden André Eminger sofort auf freien Fuß gesetzt. Der Mann, der kein Wort sagte und alles ablehnt, was diesem Staat heilig ist. Seine Neonazi-Kameraden feiern das Ende des NSU-Prozesses als ihren Sieg. Sie sehen darin keinen Sieg des Rechtsstaats.

Die Versager im Verfassungsschutz werden gedeckt und gehalten

Und jetzt? De facto ist die Aufarbeitung der Hintergründe des NSU vorbei - auch wenn der Generalbundesanwalt beteuert, die Akte NSU bleibe offen. Auch wenn die Bundesregierung fordert, weiter zu ermitteln. Diesen Schlusspunkt hat das Gericht gesetzt - indem es dem NSU-Intimus Eminger glaubte, er habe nichts von den Morden seiner Freunde gewusst. Und ihn deswegen nicht belangte. Dadurch ist die Verfolgung von Verdächtigen aussichtslos geworden, die eng, aber nicht so eng wie Eminger am NSU dran waren. Auch Emingers Frau, Zschäpes beste Freundin, muss von der Justiz nichts mehr fürchten.

Die Familien der Opfer haben im Gegenzug von der Justiz nichts mehr zu erwarten. Auch den Behörden drohen keine Konsequenzen mehr. Ein paar Verfassungsschutzchefs sind gegangen, die Versager unterhalb von ihnen werden gedeckt und gehalten. Das ist bitter, so wie alles im Fall NSU.

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