Süddeutsche Zeitung

NSU-Prozess:Corelli-Fund: Das Rätsel um die Sim-Karten

  • Das nun aufgetauchte Handy und die dazugehörigen Sim-Karten eines V-Mannes setzen den Verfassungsschutz unter Druck.
  • Die Frage ist, ob die Behörde im NSU-Verfahren Beweismittel unterdrückt hat.
  • Bundesinnenminister Thomas des Maizière fordert eine vollständige Aufklärung.

Von Stefan Braun, Berlin, und Annette Ramelsberger, München

Das Bundesamt für Verfassungsschutz gerät wegen Schlampereien und möglicherweise sogar wegen unterdrückter Beweismittel immer stärker unter Druck. Nachdem vor ein paar Wochen erst das verschollen geglaubte Handy eines verstorbenen V-Mannes aufgetaucht war, wegen dem man viermal vergebens einen amtseigenen Tresor durchsucht hatte, sind nun auch noch die dazugehörigen Sim-Karten entdeckt worden.

"Das sind in der Tat neuere Informationen, die uns überrascht haben", sagte Bundesinnenminister Thomas des Maizière am Mittwoch. "Wir erwarten vollständige und maximale Aufklärung im Bundesamt." Dass es das Bundesamt in Köln alleine schafft, Ordnung in den amtsinternen Wust zu bringen, das traut de Maizière den Verfassungsschützern aber offenbar nicht mehr zu. "Es werden auch Mitarbeiter aus dem Innenministerium selbst dort hinfahren, um den Sachverhalt restlos aufzuklären", kündigte de Maizière an. "Dann erwarte ich einen Bericht, und auch die parlamentarischen Gremien werden dann einen entsprechenden Bericht bekommen. Für eine Bewertung ist es noch zu früh."

Ziemlich viel Kopfschütteln

Auch im Kanzleramt erwartet man eben das: dass das Bundesinnenministerium und das Bundesamt für Verfassungsschutz die Sache nun wirklich restlos aufklären. Ziemlich viel Kopfschütteln allenthalben. Immer wieder hatte sich das Bundesamt für Verfassungsschutz schier unglaubliche Pannen bei der Aufklärung der Mordserie des rechtsradikalen NSU erlaubt.

Zunächst hatte ein Mitarbeiter mit dem Tarnnamen Theo Lingen unmittelbar nach dem Auffliegen der Terrorgruppe Akten zu V-Leuten aus der rechten Szene in Thüringen geschreddert, die möglicherweise Kontakte zum NSU hatten - auch die Akte des V-Mannes Ralf Marschner, der laut Zeugenaussagen Uwe Mundlos und Beate Zschäpe zeitweise auf dem Bau oder in seinem Szeneladen beschäftigt haben soll. Bis heute ist unklar, wie es zu dieser Schredderaktion kam. Der betroffene Beamte wurde lediglich ins Bundespräsidialamt versetzt. Sein oberster Chef, Heinz Fromm, trat wegen der Aktion zurück.

Dann starb der frühere V-Mann in der rechten Szene namens Corelli. Er soll eines natürlichen Todes gestorben sein, an einem Diabetesschock. Doch dass sein Diensthandy, das er vom Verfassungsschutz bekommen hatte, verschwunden war, ließ Fragen aufkommen. Auch vor Gericht im NSU-Verfahren zeigen sich Vertreter des Bundesamts für Verfassungsschutz immer wieder unwillig, ihre Erkenntnisse preiszugeben.

Erzürnte Nebenklagevertreter

Im NSU-Prozess hatte das Gericht erst vor Kurzem abgelehnt, den ehemaligen V-Mann Marschner als Zeugen zu laden. Auch ein Antrag, den damaligen Verantwortlichen für die Aktenvernichtung, Theo Lingen, zu laden, wurde abgelehnt. Das erzürnte vor allem die Nebenklagevertreter Sebastian Scharmer, Antonia von der Behrens und Peer Stolle. Wenn sie schon das Gericht nicht dazu veranlassen konnten, diese Zeugen zu laden, wollen sie nun den Untersuchungsausschuss in Berlin davon überzeugen, diese Zeugen zu hören. Es könne nicht sein, dass die Mitverantwortung des Staates für die zehn NSU-Morde so ausgeklammert bleibe.

Die drei Anwälte gehen davon aus, dass die V-Leute vom Aufenthalt der drei NSU-Leute in Zwickau wussten und ihren staatlichen Auftraggebern auch davon berichteten - dass aber der Verfassungsschutz nichts tat, um die drei Untergetauchten festzunehmen. Nun will der NSU-Untersuchungsausschuss zumindest den V-Mann-Führer von Marschner laden. Ob auch Marschner selbst aussagen soll, ist noch nicht klar. Der Mann lebt in der Schweiz, es ist schwer, an ihn heranzukommen.

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SZ vom 02.06.2016/fie
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