NSU-Prozess:Bundesanwaltschaft: Misstrauen gegen Zschäpe-Gutachter ist begründet
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Aus dem Gericht von Wiebke Ramm
Es könnte eine Premiere werden. Seit mehr als vier Jahren läuft der NSU-Prozess vor dem Oberlandesgericht München. Wiederholt hat es Ablehnungsanträge wegen Besorgnis der Befangenheit gegeben. Die Angeklagten behaupteten immer mal wieder, dass die Richter ihnen nicht unvoreingenommen begegneten. Die Anträge scheiterten allesamt. Ein Befangenheitsantrag mehrerer NSU-Opfer gegen Psychiater Joachim Bauer könnte nun der erste sein, der Erfolg hat.
Die Bundesanwaltschaft hält das Misstrauen der NSU-Opfer gegen Beate Zschäpes Gutachter Bauer für "begründet", sagt Oberstaatsanwältin Anette Greger am Dienstag vor Gericht: "Bei der gebotenen Gesamtwürdigung aller Umstände erscheint ein Misstrauen gegen die Unparteilichkeit von Professor Bauer gerechtfertigt." Anwalt Mathias Grasel, in dessen Auftrag Bauer das Gutachten über die Angeklagte erstellt hat, verteidigt den Psychiater nicht. Er schweigt zur Causa Bauer.
Bauer wittert "Hexenverbrennung" durch Journalisten
Mehrere Nebenkläger hatten Bauer in ihrem Ablehnungsantrag vorgeworfen, "offenkundig jede professionelle Distanz verloren" zu haben. In einer Mail an einen Journalisten hatte Bauer nach seiner Gutachtenerstattung behauptet, mehrere Medien würden sich an einer "Hexenverbrennung" beteiligen. Jeder würde "angegriffen und weggeschossen", der entlastende Aspekte für Zschäpe anbringe. Bauer sehe sich "offenkundig als Retter der Angeklagten", heißt es dazu in dem Befangenheitsantrag gegen ihn. Für einen unvoreingenommenen Sachverständigen spreche dies nicht.
Bauer hat schriftlich Stellung zu dem Ablehnungsantrag genommen - und es damit nach Ansicht von Bundesanwaltschaft und Nebenklagevertretern noch schlimmer gemacht. Beide Seiten weisen am Dienstag darauf hin, dass Bauer in seinem Schreiben die Unwahrheit sagt.
In der Stellungnahme, die das Gericht an diesem Tag vorliest, schreibt Bauer, er hätte nie behauptet, dass Zschäpe unschuldig an den Morden sei. Er nennt dies "eine schwerwiegende Falschdarstellung", die er "nirgendwo und zu keinem Zeitpunkt gemacht" habe. Es ist keine Falschdarstellung, stellt die Bundesanwaltschaft klar. Eine Falschdarstellung sei vielmehr, dass Bauer behauptet, dies nie gesagt zu haben. Bauer stelle seine tatsächlichen Angaben vor Gericht "in unzutreffender Weise" dar, stellt Greger fest.
Bauer hatte im Auftrag von Zschäpes Verteidigung ein Gutachten über Zschäpe erstellt. Nach 16 Stunden Gespräch mit ihr ist er zu dem Ergebnis gekommen, dass sie an einer schweren sogenannten dependenten Persönlichkeitsstörung leidet, woraus sich im Falle ihrer Verurteilung eine erheblich verminderte Schuldfähigkeit ergebe. Sie habe die Morde nie gewollt, sich aber aufgrund ihrer Störung nicht von Uwe Böhnhardt und Uwe Mundlos lösen können.
Nur Passagen verwendet, die ins Konzept passten
Zschäpe sei psychisch gesund und voll schuldfähig, stellte hingegen der vom Gericht beauftragte Gutachter Henning Saß fest. Ihr mangele es eher an Empathie denn an Durchsetzungsvermögen. Saß sieht bei Zschäpe egozentrische und manipulative, nicht selbstunsichere Züge. Saß hat nicht mit Zschäpe sprechen können, aber anders als Bauer fast vier Jahre am Prozess teilgenommen.
Bauers Gutachten stützt sich primär auf die Aussage von Zschäpe. Von den mehreren Hundert Zeugenaussagen, die es gibt, hat er von Grasel nur eine Handvoll bekommen. Von der Aussage von Zschäpes Mutter hat Bauer lediglich die Passagen verwendet, die in sein Konzept passen. Die Vertreterin der Bundesanwaltschaft stellt fest: "Die inhaltliche Auswertung der Zeugenaussagen hat er an dem von ihm angenommenen Befund einer dependenten Persönlichkeitsstörung orientiert." Insgesamt sei "nachvollziehbar", dass die Nebenkläger den Eindruck haben, dass Bauer sein Gutachten nicht unvoreingenommen, sondern "ergebnisorientiert und interessengeleitet" gefertigt habe. Nun muss das Gericht entscheiden, ob die NSU-Opfer und die Bundesanwaltschaft Bauer zurecht für befangen halten.
Für Zschäpe ging dieser 368. Verhandlungstag ungut weiter. Opferanwalt Eberhard Reinecke beantragte, den Grundriss der Wohnung in der Zwickauer Heisenbergstraße in Augenschein zu nehmen. Zschäpe, Mundlos und Böhnhardt hatten dort von Juli 2000 bis Mai 2001 gewohnt. Im September 2000 wurde Enver Simsek in Nürnberg ermordet, im Januar 2001 der Bombenanschlag auf ein Lebensmittelgeschäft in der Kölner Probsteigasse verübt.
Zweifel daran, dass Zschäpe vom Bombenbau nichts mitbekam
Uwe Böhnhardt habe die Bombe in seinem Zimmer gebaut, hatte Zschäpe schon 2015 über Anwalt Grasel im Prozess angegeben. So hätten es ihr Mundlos und Böhnhardt damals gesagt. Zschäpe will erst im Nachhinein von dem Anschlag erfahren haben: "Ich hatte vom Bau der Bombe nichts mitbekommen." Anwalt Reinecke weist darauf hin, dass ein Blick auf den Grundriss der Wohnung Zweifel an dieser Aussage weckt.
Laut Grundriss handelt es sich um eine Drei-Zimmer-Wohnung. Eines der drei Zimmer ist ein Durchgangszimmer, durch das jeder gehen muss, der in die Küche will. Als eigenes Zimmer eigne sich dieser Raum nicht, so Reinecke. Dabei hatte Zschäpe gegenüber Psychiater Bauer angegeben, dass jeder ein eigenes Zimmer gehabt habe. "Aus der Beweiserhebung wird sich ergeben, dass diese Äußerung nicht stimmen kann", sagt Reinecke.
Nach einer Unterbrechung überrascht Verteidiger Grasel mit der Mitteilung: "Was der Grundriss nicht wiedergibt, ist, dass ein Zimmer durch eine Trennwand unterteilt war." Dort hätten dann Böhnhardt und Zschäpe ihre Zimmer gehabt. Aus der Drei- sei so eine Vier-Zimmer-Wohnung geworden. Das Durchgangszimmer zur Küche hätten sie als gemeinsames Wohn- und Esszimmer genutzt. "Ist das so zutreffend?", fragt der Richter. "Ja", sagt Zschäpe.
Reinecke kündigt sogleich an, dass er diese "etwas überraschende Erklärung" überprüfen werde. Hinweise auf eine nachträglich eingebaute Trennwand habe er in den Akten bisher nicht entdeckt.
Am Mittwoch wird der Prozess fortgesetzt.