Süddeutsche Zeitung

NSU-Prozess:Bösartiges Brettspiel

Im echten Monopoly geht es ums Geld und Gewinnen, in einer selbstgebastelten Version des NSU ging es darum, die eigene Geisteshaltung zu demonstrieren. Zwei der Nazi-Spiele wurden 1998 bei Beate Zschäpe gefunden - und von Thüringer Beamten vernichtet.

Von Annette Ramelsberger

Das Spiel Monopoly ist ein Bestseller und hat seit mehreren Generationen viele Familien über Stunden gefesselt und verregnete Wochenenden spannend gemacht. Man muss dabei Straßen kaufen und Häuser darauf bauen und kann am Ende sehr, sehr reich werden. Und immer wieder kommen unvorhersehbare Ereignisse dazwischen, wie "Gehe ins Gefängnis" oder "Ziehe 4000 Mark ein".

Offensichtlich hatten auch die in den Untergrund abgetauchten Rechtsradikalen Beate Zschäpe, Uwe Mundlos und Uwe Böhnhardt viel Zeit und lange, verregnete Wochenenden. Auf jeden Fall aber kannten sie aus ihrer Kindheit das Spiel Monopoly. Und weil sie 1998 nach ihrer überstürzten Flucht vor der Polizei schnell Geld brauchten, machten sie sich ans Werk: Sie bastelten ein eigenes Spiel, angelehnt an Monopoly, aber für eine sehr spezielle Spielerschaft: für Rechtsradikale, Judenhasser und Linkenfeinde.

Sie verkauften ihre Spiele unter ihren Kameraden. Und offenbar wussten sie auch, worüber der Rechtsradikale so lacht - und änderten das Spiel entsprechend ab. Sie gaben ihm auch einen neuen Namen: "Pogromly" vom Wort Pogrom, das die gewaltsame Vertreibung von Menschen meint.

Das Ziel des Spiels: Städte "judenfrei" zu machen

Statt möglichst reich zu werden ist das Ziel dieses Spiels, deutsche Städte "judenfrei" zu machen. So wird dem Spieler bei den besonderen Ereignissen zum Beispiel Folgendes offeriert: "Dir ist es gelungen, eine Horde roter Zecken mit Hilfe eines MGs abzuwehren. Du erhältst eine Prämie von 2000 RM." Oder: "Du hast keine Ehre, keinen Stolz und keinen Mut, deswegen wollen die Juden dich als ihren Vorsitzenden. Gehe zum Juden." Wobei der Ausdruck "zum Juden" für das Gefängnis im Spiel Monopoly steht. Am eindeutigsten ist die Aufschrift: "Du hast auf ein Judengrab gekackt. Leider hast du dir dabei eine Infektion zugezogen. Arztkosten 1000 RM."

Zschäpe, Mundlos und Böhnhardt haben dieses Spiel mit ganz besonderer Akribie für ihre Zwecke und ihre Freunde umgewandelt. Die Gemeinschaftskarten hießen SA-Karten, die Ereigniskarten SS-Karten. Statt Bahnhöfen gibt es Konzentrationslager. Und sie bastelten sich eine Welt nach Geschmack der Rechten. So heißt eine Karte: "Wiedergutmachungszahlung. Juden müssen für Verbrechen am deutschen Volk bezahlen. Du erhältst 4000 RM." Natürlich ist die Währung im Spiel Reichsmark.

Das Spiel und seine Details sind deswegen so wichtig, weil dadurch nach Ansicht der Bundesanwaltschaft die politische Haltung von Zschäpe, Mundlos und Böhnhardt dokumentiert werden kann - aus der Zeit, als sie gerade abgetaucht waren. Nach dem Motto: Erst war es nur ein Spiel für sie, dann setzten sie ihre Geisteshaltung in die Tat um.

Thüringer Beamte vernichteten die Spiele

Interessant: In der Garage und in der Wohnung von Beate Zschäpe wurden 1998 in Jena zwei dieser Spiele sichergestellt. Aber als ordentliche Beamten haben die Thüringer Behörden die Spiele wie vorgeschrieben nach zehn Jahren vernichtet. Sie mussten sich dann erst wieder über einen Spitzel des Verfassungsschutzes andere Exemplare der Spiele besorgen. Sie baten ausgerechnet Tino Brandt darum, der den Thüringer Heimatschutz aufgebaut hatte, in dem Zschäpe, Mundlos und Böhnhardt waren. Ob es die identischen Spiele sind, konnte der Ermittler nicht sagen.

Und weil in diesem Prozess immer wieder neue skurrile Details auftauchen, gab es auch an diesem, dem 85. Verhandlungstag, eine Überraschung. Ein Ermittler vom Bundeskriminalamt berichtete, bei einem Rechtsradikalen sei ein Video sichergestellt worden. Der Mann steht im Verdacht, die Mordwaffe an den NSU geliefert zu haben.

Auf dem Video sieht man mehrere Fußballmannschaften aus Berlin, Sachsen, Thüringen und Bayern, die gegeneinander antreten. Bei der Siegerehrung wird dann "Heil" gerufen. Unter den Spielern waren rechtsradikale Größen wie André K. und auch der im NSU-Prozess angeklagte Holger G. Erstaunlich ist vor allem eins: Schiedsrichter war damals Uwe Böhnhardt. Das Video datiert offensichtlich von 1997.

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SZ vom 19.02.2014/uga
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