NSU-Prozess:BGH-Präsident äußert schwere Bedenken gegen Videoübertragung

NSU-Prozess, München

München bereitet sich vor: Die ersten Schilder vor dem Strafjustizzentrum, die auf ein Parkverbot während des NSU-Prozesses hinweisen, stehen schon

(Foto: Robert Haas)

Ein Ende der Debatte um zusätzliche Plätze beim NSU-Prozess ist nicht abzusehen. Klaus Tolksdorf, Präsident des Bundesgerichtshofs, steht einer Videoübertragung skeptisch gegenüber. Zeugen könnten durch Mikrofone und Kameras verunsichert werden. Dutzende Abgeordnete geben eine kritische Erklärung zur Platzvergabe ab.

Der Präsident des Bundesgerichtshofs, Klaus Tolksdorf, hat Bedenken gegen eine Videoübertragung aus dem Münchner NSU-Prozess geäußert. "Die rechtlichen Fragen einer solchen Übertragung sind hochschwierig", sagte er bei einem Pressegespräch in Karlsruhe. Wenn Angeklagte und Zeugen in Kameras und Mikrofone sprechen müssten, könnte dies eine zusätzliche Belastung für sie darstellen.

Medienvertreter und Politiker hatten ein solches Verfahren vorgeschlagen, damit möglichst viele Journalisten den Prozess gegen die rechtsextreme Terrorzelle NSU verfolgen können, der am 17. April in München beginnt. Im bisher vorgesehenen Verhandlungssaal ist nur Platz für 50 Journalisten; bei dem umstrittenen Auswahlverfahren war kein Vertreter aus der Türkei zum Zuge gekommen.

Den Einwand, dass in anderen europäischen Gerichten und auch beim Bundesverfassungsgericht solche Video- oder Tonübertragungen in Pressezimmer üblich sind, ließ Tolksdorf nicht gelten. Dort seien die Verfahrensbeteiligten meist Medienprofis; in Strafprozessen habe man es dagegen oft mit Menschen zu tun, die durch den Einsatz von Medien verunsichert werden könnten, sagte der BGH-Präsident. "Videoübertragung passt nicht zu einem Strafverfahren."

Auch die Verlegung in einen größeren Saal hält Tolksdorf nicht für geeignet, weil dann ein Schauprozess drohe. "Eine Messehalle bietet nicht die räumlichen Umstände, in denen sich Zeugen entfalten können", sagte der Präsident. Grundsätzlich müsse sich ein solches Verfahren den Interessen eines Strafprozesses unterwerfen - "und nicht den Bedürfnissen der Medien, darüber berichten zu können". Zum Münchner Auswahlverfahren wollte sich Tolksdorf nicht äußern, da das NSU-Verfahren im Falle einer Revision zum BGH kommt.

Regierung werde sich nicht einmischen

Der türkische Botschafter in Berlin, Hüseyin Avni Karslioglu, kritisierte derweil das Münchner Oberlandesgericht wegen der Sitzplatzverteilung beim bevorstehenden NSU-Prozess. Es hätte dem Gericht klar sein müssen, wie wichtig das Verfahren für die türkische Öffentlichkeit und die türkischen Medien sein würde, sagte Karslioglu der Europa-Ausgabe der Zeitung Sabah.

Karslioglu: "Wir sind transparent"

Er hätte sich mehr "Sensibilität" gewünscht. Karslioglu bekräftigte, er werde zur Prozesseröffnung am 17. April in München sein. Fremdenfeindliche Anschläge in Deutschland hätten die Türken in der Bundesrepublik verunsichert, sagte er. Zur Wiederherstellung des Vertrauens aller Einwanderer in Deutschland sei der Prozess um die Verbrechen der rechtsextremen Gruppe Nationalsozialistischer Untergrund (NSU) wichtig.

Türkische Medien fanden nach dem Akkreditierungsprozess nur auf einer Warteliste Platz. Karslioglu kritisierte, das Münchner Gericht habe nicht über den Zeitpunkt der Akkreditierung für Reporter informiert. Sabah hatte sich deshalb vergangene Woche an das Bundesverfassungsgericht in Karlsruhe gewandt.

Kritik von 55 Bundestagsabgeordneten

Der Diplomat betonte, er glaube an die Unabhängigkeit der deutschen Justiz. Dennoch habe er als Vertreter des türkischen Staates ein Recht, dem Prozess zu folgen, in dem es um die Aufarbeitung von Morden an acht türkischstämmigen Opfern geht. Wenn Vertreter deutscher Verbände oder deutsche Journalisten oder Politiker einen Prozess in der Türkei beobachten wollten, dann könnten sie das ohne Probleme tun.

Kritik kam auch aus dem Bundestag: 55 Abgeordnete teilten in einer Erklärung mit, das große Interesse hätte vorhersehbar sein können. Sie forderten, internationale Medien an dem Prozess zu beteiligen, um Aufklärung und Transparenz zu ermöglichen. "Nicht das Interesse der Öffentlichkeit und der Medien an diesem einmaligen Prozess muss sich dem zur Verfügung gestellten Raum anpassen, sondern umgekehrt: Dem großen Interesse muss der entsprechende Raum gegeben werden."

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