Süddeutsche Zeitung

NSU-Prozess:Beate Zschäpe, plötzlich gestört

Die Verteidiger haben einen Psychiater gefunden, der der mutmaßlichen NSU-Terroristin eine schwere Persönlichkeitsstörung attestiert. Glaubhaft ist das nicht.

Kommentar von Wiebke Ramm

In Wahrheit soll es also so gewesen sein: Beate Zschäpe ist keine Rechtsterroristin, die zwei Neonazis geholfen hat, zehn Menschen zu ermorden und zwei Bombenanschläge zu verüben. Sondern sie soll eine schwache Frau sein, die sich aufgrund emotionaler Abhängigkeit nicht von zwei Serienmördern lösen konnte. Schon im Dezember 2015 ließ Zschäpe ihren Anwalt vortragen: "Die beiden brauchten mich nicht, ich brauchte sie."

Die Verteidiger Hermann Borchert und Mathias Grasel haben nun einen Psychiater gefunden, der bei Zschäpe für den Zeitraum der NSU-Verbrechen eine abhängige Persönlichkeitsstörung diagnostiziert. Eine solche Störung zeichnet sich laut Fachliteratur durch ein tief greifendes Bedürfnis aus, versorgt zu werden. Dies führe zu einem unterwürfigen, klammernden Verhalten und massiven Trennungsängsten. Grasel und Borchert werden diese Definition schon beim Verfassen von Zschäpes erster Aussage gekannt haben. Denn sie enthält auffällig viele, geradezu lehrbuchhafte Formulierungen.

Darin heißt es zum Beispiel: 1996 habe sich Uwe Böhnhardt von Zschäpe getrennt. "Als Grund für die Trennung nannte er mir gegenüber, dass ich zu sehr klammern und ihm keine Luft lassen würde." Schon damals ließ sie ihren Verteidiger sagen, dass sie die Morde nicht gewollt habe. Sie habe sich "nicht von den beiden lösen" können, habe nicht die Kraft gehabt, "Konsequenzen zu ziehen". Ein Mord folgte auf den anderen. Zschäpe: "Es war eine unendliche Leere in mir." Schon damals überzeugten diese Worte wohl niemanden.

Anwälte wollen Zschäpe die drohende Höchststrafe ersparen

Ein Problem dieser Verteidigungsstrategie ist, dass man bei abhängigen Persönlichkeiten etwa an Mütter denkt, die vor dem Missbrauch des Kindes durch den Vater die Augen verschließen. Oder an Frauen, die ihren brutalen Partner nicht verlassen. Man denkt nicht an Zschäpe, die fast 14 Jahre lang einen Mord nach dem anderen geschehen lässt. Dass Zschäpe sich gegenüber dem Verteidigergutachter nun erstmals als Opfer massiver Gewalt durch Böhnhardt darstellt, ist sicher kein Zufall. Die Anwälte wollen Zschäpe die drohende Höchststrafe ersparen.

Auf Mittäterschaft an zehn Morden steht zwangsläufig eine lebenslange Freiheitsstrafe und die Feststellung der besonderen Schwere der Schuld. Weniger Strafe wäre möglich, wenn die Verteidigung es schafft, dass Zschäpe nur wegen Beihilfe verurteilt wird. Das war bislang das ambitionierte Ziel von Grasel und Borchert. Nun wollen sie Zschäpe offenbar die lebenslange Freiheitsstrafe ersparen, indem sie eine angeblich verminderte Schuldfähigkeit aufgrund einer Persönlichkeitsstörung behaupten.

Zschäpe ist alles andere als devot und konfliktscheu

Glaubhaft ist das nicht. Dass Zschäpe alles andere als devot und konfliktscheu ist, davon zeugt schon der Umgang mit ihren Altverteidigern. Und ein Gutachter - mit dem Zschäpe übrigens auch gesprochen hat - stellte bereits fest, dass sie über "eine erhebliche psychische Stabilität" verfügt. Stabilität, nicht Instabilität. Ganz zu Schweigen vom Gutachten von Henning Saß, der sie als selbstbewusst und unabhängig beschreibt. Zschäpe ist "kein Typ, der sich unterordnen würde" - das sagte auch der Mitangeklagte Holger G., der sie gut kennt. Auf den Punkt brachte es schließlich Zschäpes Cousin, mit dem sie aufgewachsen ist: "Sie hatte die Jungs im Griff."

Zschäpes Strategie, sich als psychisch schwach darstellen zu wollen, kann nicht funktionieren. Nach fast vier Jahren Prozess, die Höchststrafe vor Augen, plötzlich einen Psychiater aus dem Hut zu zaubern, wird niemanden überzeugen.

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