NSU-Prozess:"Beate Zschäpe hatte den Willen zur Tatherrschaft"

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Im NSU-Prozess verfolgt Beate Zschäpe am Freitag im Münchener Oberlandesgericht die Fortsetzung des Plädoyers der Ankläger. Mit ihr in der ersten Reihe sitzen ihre Verteidiger. (Foto: dpa)
  • Nach vier Jahren NSU-Prozess kann die Bundesanwaltschaft jedem der fünf Angeklagten sein eigenes Quantum an Schuld nachweisen.
  • Demnach war die Hauptangeklagte Zschäpe ein vollwertiges Mitglied des "terroristischen Triumvirats".
  • Die Mitangeklagten Wohlleben und Carsten S. haben sich nach Überzeugung der Anklage der Beihilfe an neun Morden schuldig gemacht.

Von Annette Ramelsberger und Wiebke Ramm, München

Als sich der NSU am 4. November 2011 selbst enttarnte, tat sich ein Abgrund auf. Über Jahre konnte eine Gruppe Neonazis Menschen ermorden, Bombenanschläge verüben, Raubüberfälle begehen. Und niemand stoppte sie. Die Ermittler der Bundesanwaltschaft gehörten zu den Ersten, die in diesen Abgrund blickten. Er kam ihnen nebelverhangen vor und schien immer tiefer zu werden, je weiter die Ermittlungen voranschritten. Nun, nach vier Jahren Prozess und 380 Verhandlungstagen, haben die Ankläger - so machen sie das deutlich - die Nebelschwaden vertrieben. Mehr noch, sie haben den Abgrund an Mord, Anschlägen und Schuld so weit durchdrungen, dass sie nun jedem der fünf Angeklagten sein eigenes Quantum an Schuld nachweisen können, bis zum letzten Paragrafen im Strafgesetzbuch.

Nicht nur die Schuld an den zehn NSU-Morden, auch die an den Raubüberfällen, der Waffenbeschaffung, den versuchten Morden, den Körperverletzungen, der räuberischen Erpressung, mit der sich der NSU finanzierte. Nichts bleibt unerwähnt. Die Bundesanwaltschaft hat die Schuld der fünf Angeklagten quasi bis zum letzten Molekül vermessen.

Und die stellt sie nun in allen Einzelheiten dar. Dass Beate Zschäpe, die Hauptangeklagte, sich zwar an keinem Tatort aufgehalten habe, aber dennoch als vollwertiges Mitglied eines "terroristischen Triumvirats" handelte. Dass sie auch schon vor dem Untertauchen ihre rechtsradikale Ideologie durch Straftaten durchzusetzen versuchte. "Auch damals schon bevorzugte sie es, aus der Entfernung heraus zu agieren, bekannte sich aber später zu den Taten als eigenen", sagt Oberstaatsanwältin Anette Greger. Ihrer Überzeugung nach hat Zschäpe zusammen mit ihren Komplizen Uwe Mundlos und Uwe Böhnhardt die rechtsterroristische Vereinigung NSU gegründet. Sie sieht es als erwiesen an, dass Zschäpe für die Verbrechen des NSU genauso verantwortlich ist wie Böhnhardt und Mundlos. "Sie hatte den Willen zur Tatherrschaft."

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Doch das sei sie nie gewesen, plädiert Oberstaatsanwältin Greger im NSU-Prozess. Zschäpe habe mit Mundlos und Böhnhardt nicht nur ihr Leben, sondern auch ihr rassistisches Weltbild geteilt.

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Zschäpe verschickte das Bekennervideo

Punkt für Punkt führt Greger auf, was Zschäpe alles vorgeworfen wird - bis hin zur Brandstiftung in Zwickau, wo sie den Unterschlupf des NSU ansteckte und dabei den Tod von drei Menschen in Kauf genommen habe. Danach verschickte sie das Bekennervideo. Viel zu eng hätten die drei zusammengewohnt, viel zu verschworen sei die Gemeinschaft gewesen, viel zu sehr hätten die Männer in Zschäpes Namen gehandelt, als dass sie nicht als vollwertiges Mitglied der Terrorbande zu sehen sei, sagt Greger. Am Ende sagt sie wie nebenbei: Für die Bundesanwaltschaft liegen grundsätzlich die Voraussetzungen für die Sicherungsverwahrung vor.

Das ist die volle Packung: Mit dieser Einschätzung kann Bundesanwalt Herbert Diemer in einer Woche nur noch lebenslang und Sicherungsverwahrung fordern. Sollte das Gericht dem nachkommen, käme Zschäpe nie wieder auf freien Fuß. Sie ist jetzt 42 Jahre alt.

So sehr sich die Bundesanwaltschaft in die einzelnen Schuldbeiträge der Angeklagten vertieft, so sehr lässt sie staatliche Versäumnisse außen vor. Hinweise auf eine Verstrickung des Verfassungsschutzes in die NSU-Taten sieht die Bundesanwaltschaft nicht. Dessen V-Leute hätten vielmehr entscheidend zur Aufklärung beigetragen, hatte Diemer bereits zu Anfang des Plädoyers gesagt. Die Vertreter der NSU-Opfer können nicht glauben, dass ein Lob alles ist, was die Bundesanwaltschaft in ihrem Plädoyer zur Rolle der Sicherheitsbehörden zu sagen hat. Kein Wort über geschredderte Akten, kein Wort über das Schikanieren Angehöriger. Aber möglicherweise kommt das ja noch, wenn Diemer das Plädoyer beendet. Geplant ist das am 12. September.

In dieser Woche geht es erst noch um die Mitangeklagten: Ralf Wohlleben und seinen jungen Helfer Carsten S., die beiden besorgten die Tatwaffe Ceska. Und um Holger G. und André E., die das NSU-Trio bis zuletzt unterstützten, mit Fahrzeugen, Pässen oder AOK-Karten.

Wohlleben und Carsten S. haben sich nach Überzeugung der Anklage der Beihilfe an neun Morden schuldig gemacht. Es sei Wohllebens Entscheidung gewesen, den drei Untergetauchten auf deren Wunsch eine Waffe mit Schalldämpfer zu beschaffen. Es sei Wohlleben gewesen, der den erst 20 Jahre alten Carsten S. mit dem Kauf der Waffe beauftragte und ihm auch das Geld für die Ceska gab.

Um den Straftatbestand der Beihilfe zu erfüllen, müssen Wohlleben und Carsten S. nicht gewusst haben, wen genau die NSU-Neonazis wann und wo ermorden würden, betont der Oberstaatsanwalt. Es reicht, dass sie es für möglich hielten und billigend in Kauf nahmen. Und daran, so Oberstaatsanwalt Jochen Weingarten, gab es überhaupt keinen Zweifel.

"Die Angeklagten Holger G., André E., Ralf Wohlleben und Carsten S. haben die Gefahr ideologisch motivierter Morde durch Zschäpe, Mundlos und Böhnhardt immer gesehen", sagt er. Wohlleben und Carsten S. lieferten ihnen das entscheidende Tatwerkzeug. Holger G. und André E. halfen ihnen, unentdeckt im Untergrund zu leben. Damit hätten sie sich der Unterstützung einer terroristischen Vereinigung schuldig gemacht.

André E. habe sich der Beihilfe zum versuchten Mord schuldig gemacht

Zum Beispiel Holger G. "Dem Angeklagten Holger G. war die Freundschaft zu Zschäpe, Mundlos und Böhnhardt immer wichtiger als das Leben von Ausländern", sagt Weingarten. Die Bundesanwaltschaft nimmt G. nicht ab, "dass er die Gefahr nicht sah, dass seine Freunde mordend durchs Land ziehen". Anders als André E. habe Holger G. von den Untergetauchten zwar nicht direkt von den Morden erfahren. Er habe aber sehr genau gewusst, wozu Böhnhardt, Mundlos und auch Zschäpe fähig waren.

Der Beihilfe zum versuchten Mord habe sich zudem André E. schuldig gemacht. Er hat das Wohnmobil angemietet, mit dem Böhnhardt und Mundlos nach Köln fuhren, um einen Bombenanschlag zu verüben, bei dem eine junge Frau schwer verletzt wurde. Er hat weitere Fahrzeuge angemietet, die bei Überfällen zum Einsatz kamen. Beihilfe zum besonders schweren Raub nennt das die Bundesanwaltschaft.

© SZ vom 02.09.2017 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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