Süddeutsche Zeitung

NSU-Prozess:Anwalt will für Urteil Kreuz entfernen lassen

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Aus dem Gericht von Wiebke Ramm

Ein Opfer des Bombenanschlags in der Kölner Keupstraße fordert, für die Urteilsverkündung im NSU-Prozess das Kreuz an der Wand des Gerichtssaals abhängen zu lassen. Für seinen Mandanten Talat T. stelle "die mündliche Urteilsverkündung unter dem Kreuz eine unzumutbare innere Belastung dar", heißt es in dem Antrag, den sein Anwalt Adnan Erdal am Mittwoch dem Gericht übergeben hat. Er liegt der SZ vor.

Der Staat und seine Institutionen hätten eine "religiöse Neutralitätspflicht", schreibt Erdal. Der Senat sei daher verpflichtet, das Kreuz als Symbol des christlichen Glaubens für die Verkündung des Urteils gegen die mutmaßliche Rechtsterroristin Beate Zschäpe und vier Mitangeklagte aus dem Saal zu entfernen. Erdal bezieht sich unter anderem auf den sogenannten Kruzifix-Beschluss des Bundesverfassungsgerichts von 1995, wonach das Kreuz "Symbol einer bestimmten religiösen Überzeugung" sei und nicht lediglich Ausdruck einer christlich-abendländischen Kultur.

Anwalt: Urteil unter dem Kreuz wäre für muslimischen Mandanten "schmerzhaft"

"Der NSU hat zwar hauptsächlich aus rassistischen Gründen die türkischstämmigen Menschen zum Tode verurteilt", schreibt Erdal, "diese hatten jedoch gleichzeitig auch eine andere Religion." Und diese Religion habe "auch zur Ermordung dieser Menschen durch den NSU" beigetragen. So wäre es für seinen Mandanten "schmerzhaft", die Entscheidung des Gerichts "unter dem christlichen Kreuz entgegenzunehmen, weil er als Nebenkläger davon ausgeht, dass die vorwiegend türkischstämmigen Menschen, die nicht der christlichen Religion angehörten, auch wegen der Religion Opfer des NSU wurden".

Bereits kurz nach Beginn des Prozesses im Mai 2013 hatte Erdal beantragt, das Kreuz während des NSU-Prozesses abzuhängen, den Antrag aber wenige Tage später wieder zurückgezogen. Das Holzkreuz hängt seit nunmehr fast fünf Jahren auch während des NSU-Prozesses im Saal A 101 des Oberlandesgerichts München.

Unterdessen sind am Mittwoch die Plädoyers der Nebenklagevertreter fortgesetzt worden. Zuvor war ein Befangenheitsantrag des Angeklagten Ralf Wohlleben als unbegründet zurückgewiesen worden. Anwalt Erdal selbst fasste sich in seinem Plädoyer kurz. Er sagte lediglich, dass er sich den Ausführungen der Bundesanwaltschaft anschließe. Die Bundesanwaltschaft fordert für Zschäpe eine Verurteilung unter anderem wegen Mittäterschaft an zehn vorwiegend rassistisch motivierten Morden, zwei Bombenanschlägen und 15 Raubüberfällen.

Am Donnerstag könnten möglicherweise die letzten Opfer des NSU und deren Anwälte ihre Schlussvorträge halten. Danach wären die Verteidiger mit ihren Plädoyers an der Reihe. Mit einem Urteil im NSU-Prozess ist in mehreren Wochen zu rechnen.

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