Süddeutsche Zeitung

NSU-Prozess:Alle Zschäpe-Anwälte verbünden sich gegen das Gericht

  • Nach eineinhalb Jahren eisigen Schweigens verbünden sich Beate Zschäpes Anwälte erstmals zu einer gemeinsamen Aktion.
  • Alle fünf Verteidiger stellten einen Befangenheitsantrag gegen das Gericht.
  • Am letzten Prozesstag im Jahr 2016 wird der Gutachter nicht mehr gehört.

Von Annette Ramelsberger

332 Verhandlungstage sitzt das Oberlandesgericht München nun schon über die fünf Angeklagten im NSU-Prozess zu Gericht, fast vier Jahre lang. Aber die Hoffnung, dass es nun schneller geht mit der Wahrheitsfindung, hat auch am letzten Prozesstag des Jahres 2016 getrogen. Das vierte Jahr im NSU-Prozess endete wie man es in diesem Mammut-Verfahren gewöhnt ist: mit Verzögerungen, mit Befangenheitsanträgen, mit Warten. Also alles wie gehabt.

Gemeinsame Aktion nach eineinhalb Jahren eisigen Schweigens

Doch es gab auch eine Überraschung, und für die alte Verteidigung der Hauptangeklagten Beate Zschäpe dürfte sich das fast wie ein Weihnachtswunder angefühlt haben: Nach eineinhalb Jahren eisigen Schweigens zwischen den neuen und den alten Verteidigern von Zschäpe kam es an diesem Tag zu einer gemeinsamen Aktion. Die alten Verteidiger Wolfgang Heer, Wolfgang Stahl und Anja Sturm stellten "im Interesse" ihrer Mandantin einen Befangenheitsantrag gegen das Gericht - und die neuen Anwälte erklärten, Zschäpe stelle auch einen Befangenheitsantrag und schließe sich den Gründen ihrer alten Verteidiger an. Doch selbst wenn sich Zschäpes fünf Verteidiger einmal einig sind, gibt es Probleme: Die Bundesanwaltschaft monierte umgehend, Zschäpe habe ihren Befangenheitsantrag zu spät gestellt.

Es ging um das Gutachten des Psychiaters Henning Saß, der Zschäpe großes Selbstbewusstsein attestiert und bei ihr sogar die Möglichkeit sieht, dass sie erneut rechtsradikale Straftaten begeht und deswegen eine Sicherungsverwahrung nach ihrer Haft nicht ausschließt. Das hat er schriftlich ausgearbeitet. Gegen dieses Gutachten hatten sich die Verteidiger gewandt. Sie sprachen Saß die fachliche Eignung ab. Das Gericht aber wies diese Anträge am Mittwoch zurück - mit der knappen Erklärung, nur das mündliche Gutachten in der Hauptverhandlung sei von Bedeutung, das schriftliche habe nicht viel zu sagen. Und deswegen müssten die Verteidiger erst das mündliche Gutachten abwarten. Aber die Verteidiger wollen die Vorstellung dieses Gutachtens ja unbedingt verhindern. Da beißt sich die Katze in den Schwanz.

Der Gutachter wird im Jahr 2016 nicht mehr gehört

Die Verteidiger warfen dem Gericht sodann vor, ihren Antrag aus "völlig abwegigen Gründen" abgelehnt zu haben und die Verteidigung "bewusst zu behindern". Die Argumente des Gerichts "muten wie ein Kunstgriff an", um sich nicht inhaltlich damit befassen zu müssen, sagte Verteidiger Stahl. Der Angeklagten müsse sich der Eindruck aufdrängen, dass es dem Gericht nicht um eine ordentliche Sachaufklärung gehe, sondern nur um einen schnellen Durchmarsch. Der Gutachter wurde in diesem Jahr dann nicht mehr gehört.

Das Gericht vertagte sich auf den 10. Januar 2017. Bis dahin soll entschieden sein, ob das Gericht befangen ist. Und möglicherweise soll 2017 auch das Urteil fallen.

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SZ vom 22.12.2016/ees
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