NSU-Prozess:300 Fragen und ein Brief

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Beate Zschäpe verweigert den Nebenklägern Antworten - und wehrt sich gegen das Vorlesen privater Post.

Von Annette Ramelsberger, München

Nach zwei Minuten ist alles vorbei. Drei kurze, nichtssagende Sätze zu Randbereichen des Verfahrens, dann Stille. Seit Monaten haben alle im NSU-Prozess auf die Antworten der Hauptangeklagten Beate Zschäpe auf die mehr als 300 Fragen der Opfervertreter gewartet. Es sind gewichtige Fragen: Wie wurden die zehn Opfer der Terrorzelle NSU ausgesucht? Was wollten die Täter damit bewirken? Wer hat ihnen geholfen? Es sind die Fragen, die bisher alle nicht beantwortet sind.

Beate Zschäpe sollte im Juli antworten, dann im August, jetzt ist es September. Doch dann lässt sie ihren Anwalt Mathias Grasel am Mittwoch nur erklären, sie werde auf die sieben Fragen des psychiatrischen Sachverständigen überhaupt nicht antworten und auch nicht auf die 300 Fragen der Nebenkläger - außer das Gericht hält einige der Fragen für entscheidungsrelevant und macht sie sich zu eigen. Auch auf Fragen von Angehörigen direkt will Zschäpe nicht antworten.

Das Fragespiel zwischen Gericht und Angeklagter geht also weiter - wie seit fast einem Jahr. Seitdem läuft das in der deutschen Rechtsgeschichte bisher einmalige Verfahren, dass eine Angeklagte nur schriftlich auf Fragen des Gerichts antwortet und selbst die Antworten auf Nachfragen über Monate mit ihren Anwälten vorbereitet. Viermal hat dieses Spiel nun schon stattgefunden. Nun muss das Gericht entscheiden, ob es Fragen der Nebenkläger für so wichtig hält, dass es sie selbst an Zschäpe stellen will. Richter Manfred Götzl fragte Zschäpe, ob denn nicht mal auch kurzfristig eine Antwort möglich sei. "Kommt auf die Frage an", sagt ihr Anwalt.

Doch die Antworten der Beate Zschäpe werden an diesem Tag fast zur Nebensache. Viel wichtiger sind ihre Briefe. Die Nebenkläger haben einen Brief von Zschäpe an ihren Brieffreund, den wegen eines bewaffneten Raubüberfalls verurteilten Neonazi Robin Schmiemann, ausgegraben. In ihm stellt sie sich ganz anders dar als in ihrer Erklärung vor Gericht. Nicht als unwissendes, liebendes, ihren mordenden Gefährten ausgeliefertes Mädchen, das nicht aus der NSU-Falle entrinnen konnte - sondern als selbstbewusste, dominante, geradezu von sich überzeugte Frau.

Doch kaum haben die Nebenkläger angefangen zu beantragen, dass dieser Brief für die Beurteilung der Persönlichkeit von Zschäpe herangezogen wird, grätschen ihre Verteidiger dazwischen. Es gehe um Höchstpersönliches, das dürfe nicht in öffentlicher Hauptverhandlung besprochen werden. Die Nebenkläger kommen in ihrem Antrag nicht viel weiter als bis zu der Stelle, in der Zschäpe kurz vor Beginn des Prozesses im Jahr 2013 ihrem Brieffreund schreibt, wie stark sie sich fühle: Sie nehme in der Haft keine Antidepressiva, obwohl sie ihr angeboten würden. Sie brauche das nicht. Sie habe "keinen Nervenzusammenbruch, keinerlei Tränen, keine depressiven Aussagen - nix. Davon abgesehen würd' ich ums Verreckenwillen keinen der hier Anwesenden daran teilhaben lassen. Das würd' ich im stillen Kämmerlein mit mir selbst ausmachen." So wird aus dem Brief vorgelesen.

Ihr Verteidiger Wolfgang Stahl fordert, die Öffentlichkeit auszuschließen. Der Brief sei unrechtmäßig beschlagnahmt worden. Ihr Anwalt Mathias Grasel schließt sich dem Antrag an. In dem Brief, der in den NSU-Akten ist, schreibt Zschäpe, dass sie keine dumme Gans sei. Dass ihr Brieffreund in ihr seine Meisterin gefunden habe. Und sie macht sehr deutlich, dass sie sich zu nichts zwingen lasse. Die Nebenkläger versuchen durch diesen Brief zu belegen, dass Zschäpes Erklärung unglaubwürdig ist, wonach sie von den Morden nichts gewusst habe und abhängig von ihren Männern war.

Verteidiger Mathias Grasel: Zwei Minuten, dann war es vorbei. (Foto: Tobias Hase/dpa)
© SZ vom 15.09.2016 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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