Das Bundesamt für Verfassungsschutz (BfV) gerät wegen einer plötzlich aufgetauchten CD in Erklärungsnöte. Auf der Daten-CD, die das Amt schon seit 2005 haben soll, ist in einer Datei von einem "NSU/NSDAP" die Rede. Ermittler glauben zwar bisher nicht, dass damit die 2011 enttarnte, gleichnamige Terrorgruppe "Nationalsozialistischer Untergrund" (NSU) gemeint war. Aber Innenpolitiker von Regierung und Opposition zeigten sich fassungslos darüber, dass die Existenz der verdächtigen CD erst jetzt bekannt wurde. Die SPD fordert einen Sonderermittler, die Grünen verlangen eine Sondersitzung des Parlamentarischen Kontrollgremiums.
Es kämen "immer neue Ungereimtheiten und Versäumnisse" ans Licht, sagte der innenpolitische Sprecher der SPD, Burkhard Lischka, am Mittwoch. Es müsse jetzt "jeder Stein im BfV umgedreht werden". Bisher hatten die Behörden stets beteuert, den Begriff "NSU" erst registriert zu haben, als im November 2011 die Leichen der Terroristen Uwe Mundlos und Uwe Böhnhardt sowie entsprechende Bekennervideos gefunden wurden. Nun mehren sich die Hinweise darauf, dass das Kürzel seit Langem in der rechten Szene kursierte.
Die jetzt aufgetauchte CD soll das BfV 2005 von seinem V-Mann "Corelli" bekommen haben. Man frage sich, welche Informationen im Bundesamt womöglich noch "schlummern", sagt der CDU-Abgeordnete Clemens Binninger, der das Parlamentarische Kontrollgremium leitet. Der Grünen-Politiker Hans-Christian Ströbele wirft dem Verfassungsschutz vor, die politischen Gremien falsch informiert zu haben. Petra Pau von der Linken attackierte den BfV-Präsidenten Hans-Georg Maaßen. Dieser habe entweder das BfV nicht im Griff, oder er habe die Abgeordneten belogen. Das BfV erklärte zunächst nur, aus der CD mit dem Kürzel NSU habe man damals nicht auf die Existenz einer rechtsextremistischen Terrorgruppe schließen können. Erst vorige Woche hatte sich der Innenausschuss des Bundestags mit Corelli befasst; von der jetzt aufgetauchten CD war da noch keine Rede. Im BfV heißt es, sie sei erst Anfang dieser Woche gefunden worden, Maaßen habe nicht gelogen. Auch der NSU-Untersuchungsausschuss hatte Corelli und dessen Kontakte thematisiert. Aber auch dieses Gremium erhielt keinen Hinweis auf die CD. Dieser wäre nach Ansicht von Mitgliedern des Ausschusses aber auch dann angezeigt gewesen, wenn die CD - wovon die Ermittler derzeit ausgehen - keinen Ansatz zu den Terroristen bietet. Auf dem Datenträger befinden sich historische Fotos zum Nationalsozialismus. Zwei ähnliche CDs waren im Frühjahr in Norddeutschland aufgetaucht. Ein anderer V-Mann übergab eine CD an das Hamburger Landesamt für Verfassungsschutz. Er will sie einst von Corelli erhalten haben. NSU-Ermittler wollten Corelli deshalb vernehmen, dazu kam es aber nicht mehr, weil der Ex-Spitzel, der unter neuem Namen lebte, im April tot aufgefunden wurde. Laut Obduktion starb der 39-Jährige an einer unerkannten Diabetes-Erkrankung, eine Fremdeinwirkung wurde ausgeschlossen.