Der Gerichtsprozess um die Taten, die allen Erkenntnissen nach der Gruppe um Uwe Mundlos, Uwe Böhnhardt und Beate Zschäpe zuzuschreiben sind, neigt sich vor dem Oberlandesgericht München dem Ende zu. Bei dem merkwürdigen Umständen rund um den Mord an Halit Yozgat 2006 in einem Internetcafé in Kassel bissen sich jedoch alle die Zähne aus: die Ermittler, das Münchner Oberlandesgericht und die Politiker in den diversen Untersuchungsausschüssen. Denn am Tatort war offenbar ein Verfassungsschützer, der den Mord mit großer Wahrscheinlichkeit miterlebt hat.
Andreas Temme, der Mann vom Verfassungsschutz, saß - davon geht das Gericht aus - im Hinterzimmer des Kasseler Internetcafés, als im Eingangsraum der 21-jährige Halit Yozgat erschossen wurde. Doch Temme behauptet, er habe davon nichts mitbekommen. Er habe die zwei Schüsse nicht gehört; nicht das Opfer gesehen, das hinter dem Tresen lag; und auch den Pulvergeruch will er nicht wahrgenommen haben. Das Gericht hat ihn öfter vernommen als alle anderen Zeugen, am Ende hat man ihm geglaubt.
Doch nun wird sich das Gericht dieses bereits ad acta gelegte Kapitel möglicherweise neu vornehmen müssen. Neue Untersuchungen belegen, dass Temmes Aussage in Zweifel gezogen werden muss.
Sie stammen nicht von deutschen Behörden, sondern von der unabhängigen Londoner Forschergruppe Forensic Architecture um den Architekten Eyal Weizman. Statt wie andere gegen Unrecht, Vertuschung und verschleppte Ermittlungen zu protestieren, nimmt die Gruppe die Aufklärung ungelöster Fälle einfach selbst in die Hand. Und bedient sich dabei oft Methoden, die die Justizorgane noch gar nicht entdeckt haben. In diesem Fall kombiniert Forensic Architecture ein geleaktes Youtube-Video, in dem Temme für die Polizei seine Bewegungen durch das Internetcafé nachstellte, mit vielfältigen anderen gesammelten Informationen und konnte so simulieren, was Temme gesehen haben musste.
Um etwa die Lautstärke des Schusses zu ermitteln, baute die Gruppe das Internetcafé in Originalgröße nach. Sogar die Ausbreitung des Schießpulvergeruchs in den Räumlichkeiten versuchten sie mit wissenschaftlichen Methoden zu verfolgen. Die Ergebnisse, soweit sie vorliegen, ziehen einen eindeutigen Schluss. Nun stellt sich die Frage, wie das Münchner Gericht reagiert, vor dem Weizman im Mai die Untersuchung von Forensic Architecture vorstellen soll.