NSU-Kontakte nach Baden-Württemberg:Vager Bericht statt umfassender Aufklärung

Reinhold Gall

"Extremistisches Dunkel ausleuchten": Baden-Württembergs Innenminister Reinhold Gall (SPD)

(Foto: dpa)

In Baden-Württemberg wird immer wieder ein NSU-Untersuchungsausschuss gefordert. Denn die rechtsradikalen Terroristen hatten eine Vielzahl von Kontakten in das Bundesland. Landesinnenminister Gall will sich aber offenbar mit einem Bericht des Landeskriminalamts zufriedengeben - obwohl der einige Fragen offenlässt.

Von Tanjev Schultz

Weil die NSU-Terroristen auffällige Kontakte nach Baden-Württemberg hatten, gibt es dort beim Landeskriminalamt eine eigene Ermittlungsgruppe - die "EG Umfeld". Sie soll die Bezüge des NSU in den Südwesten aufhellen. Die Ergebnisse ihrer Ermittlungen werden am Mittwoch im Landtag vorgestellt und liegen der Süddeutschen Zeitung bereits vor. Der Bericht ist, ohne Anhänge, 169 Seiten stark - und soll offenbar den Eindruck vermitteln, dass eine weitere Aufklärung durch das Parlament nicht mehr notwendig ist.

In Baden-Württemberg werden immer wieder Rufe nach einem parlamentarischen Untersuchungsausschuss zum NSU-Komplex laut. Es sei im "ureigenen Interesse unserer Sicherheitsbehörden, das extremistische Dunkel auszuleuchten", schreibt auch der baden-württembergische Innenminister Reinhold Gall (SPD) im Vorwort des LKA-Berichts. Diese Ermittlungen scheinen Gall jedoch zu genügen. Das Thema soll abgehakt werden.

Zwar heißt es in dem Bericht, das Auftauchen neuer Spuren könne nicht ausgeschlossen werden. Doch vorerst gibt das LKA Entwarnung: Es sei kein Nachweis möglich gewesen, dass in Baden-Württemberg ein Netzwerk von Helfern existierte, die den NSU unterstützt hätten. Und es gebe auch keine Hinweise auf rechte Terrorzellen, die mit dem NSU vergleichbar wären.

Manches bleibt vage im Bericht

Das LKA hat 52 Personen identifiziert, bei denen ein direkter Kontakt zum Trio Beate Zschäpe, Uwe Mundlos und Uwe Böhnhardt oder aber zu anderen Kontaktpersonen des Trios nachgewiesen sei und ein Bezug zu Baden-Württemberg bestehe. In Ludwigsburg hatten die drei aus Jena Freunde. Bis zu 30 Mal könnten sie in den Jahren 1993 bis 2001 dort zu Besuch gewesen sein, allerdings nicht immer zu dritt. Und nur acht Besuche hätten sich "konkretisieren" lassen.

Auch anderes bleibt vage. Mehrere Zeugen wollen Zschäpe oder ihre Freunde mal hier, mal dort im Südwesten gesehen haben. Gewissheit darüber ist schwer zu erlangen. Gesichert ist, dass Böhnhardt und Mundlos im Jahr 2003 in Stuttgart waren und dort Läden ausgespäht haben. Entsprechende Fotos fanden die Ermittler in der NSU-Wohnung in Zwickau. Dort lag zudem eine umfangreiche Adressliste, auf der unter anderem Politiker, Heime für Asylbewerber und türkische Vereine verzeichnet waren. Etwa tausend Einträge betreffen Adressen in Baden-Württemberg.

Einige Spuren haben sich aus Sicht des LKA endgültig erledigt, beispielsweise eine mysteriöse SMS, die im Oktober 2011 auf Zschäpes Handy einging, ohne dass der Inhalt rekonstruierbar war. Die SMS kam von einer Mobilfunknummer, die in Stuttgart registriert war. Laut LKA nutzte eine Firma die Nummer für den Massenversand von Werbe-Nachrichten.

U-Ausschuss hätte viel zu tun

In Heilbronn soll der NSU im Jahr 2007 die Polizistin Michèle Kiesewetter ermordet haben. Nach Überzeugung der Bundesanwaltschaft wählten die Täter ihr Opfer genauso willkürlich aus wie bei der Mordserie an Migranten. Im NSU-Prozess halten es Vertreter der Nebenklage dagegen für möglich, dass eine persönliche Verbindung bestand - und es weitere Tatbeteiligte gab.

Die Motivlage in Heilbronn, so heißt es nun im LKA-Bericht, biete "weiterhin Raum für Spekulationen". Unbefriedigend seien die fehlenden Erkenntnisse zur Phase direkt vor und nach der Tat. Es fehlten aber Hinweise darauf, dass "ortskundige Dritte" beteiligt waren.

Das LKA verteidigt sich zudem gegen Kritik, nach dem Mord sei auf diskriminierende Weise gegen Sinti und Roma ermittelt worden. Vor Gericht kam vor Kurzem heraus, dass Beamte bereits im Sprachgebrauch rassistische Tendenzen zeigten (in Vermerken war die Rede von "Zigeunern" und "Negern"). Die Ermittlungen hätten sich, so das LKA, "mitnichten" nach der Gruppenzugehörigkeit von Personen gerichtet. Der Bericht sieht auch keine Verbindung zwischen dem Ku-Klux-Klan und dem NSU.

Gäbe es einen Untersuchungsausschuss, hätte er viel zu tun, die Geschichte des Klans und der Polizisten, die dort Mitglied waren, aufzuarbeiten und das Thema "Rassismus bei der Polizei" aufzugreifen. Gründer der Klan-Gruppe war übrigens ein V-Mann des Verfassungsschutzes, was im LKA-Bericht jedoch verschleiert wird.

Aktivistische Kritik am Minister

Dafür gibt er Auskunft über eine Anwältin mit dem Kürzel "N. S.": Sie sei nie V-Person des Verfassungsschutzes gewesen, aber zwischen Oktober 2003 und Januar 2004, als sie noch in der Ausbildung war, sei es zu einem "Kontakt" gekommen. N. S. sollte als Spitzel angeworben werden - sie lehnte ab und stellte eine Dienstaufsichtsbeschwerde gegen den werbenden Beamten. Eine Anwältin namens Nicole Schneiders verteidigt im NSU-Prozess den Angeklagten Ralf Wohlleben. Die beiden kennen sich aus vergangenen Zeiten bei der NPD in Jena. Später zog Schneiders nach Baden-Württemberg.

Es ist kaum zu erwarten, dass der LKA-Bericht die Kritiker des baden-württembergischen Innenministers überzeugen kann. Sie argwöhnen, dass Gall den Apparat von Polizei und Verfassungsschutz schützen wolle. In einem Untersuchungsausschuss könnten weitere unangenehme Details beispielsweise zum Ku-Klux-Klan und zur Rolle der Behörden herauskommen.

Am vergangenen Freitag "warfen" sich die linken Kritiker schon einmal warm: Bei einer Veranstaltung an der Evangelischen Hochschule in Ludwigsburg sprang ein junger Mann auf und schleuderte dem Minister eine Torte ins Gesicht. Später bezichtigten sich linke Aktivisten im Internet selbst der Tat. Der Innenminister verhindere eine Aufklärung des NSU-Netzwerks, schrieb die Gruppe militanter Konditoren.

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