Rechtsextremismus:Staatsanwaltschaft erhebt im Fall "NSU 2.0" Anklage gegen 53-Jährigen

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Die Staatsanwaltschaft in Frankfurt am Main hatte im Zusammenhang mit den "NSU 2.0"-Drohschreiben die Ermittlungen gegen ein Ehepaar aus Landshut aufgenommen. Nun wurde das Verfahren eingestellt. (Foto: Boris Roessler/dpa)

Der Frankfurter Behörde zufolge gibt es eine lange Liste an Vorwürfen gegen den Mann, der 116 Drohschreiben verfasst haben soll. Ein Verdacht gegen die Polizei erhärtet sich nicht.

Die Staatsanwaltschaft Frankfurt am Main hat im Zusammenhang mit den "NSU 2.0"-Drohschreiben Anklage erhoben. In einer 120 Seiten umfassenden Anklageschrift werde dem 53-jährigen mutmaßlichen Verfasser Beleidigung, Bedrohung und Volksverhetzung zur Last gelegt, sowie eine ganze Reihe weiterer Vergehen, teilt die Behörde mit. Er soll demnach im Zeitraum zwischen August 2018 und März 2020 insgesamt 116 Drohschreiben verfasst und per Mail, Fax oder SMS versandt haben.

Dabei habe er regelmäßig die Grußformel "Heil Hitler" verwendet sowie sich selbst "SS-Obersturmbannführer" genannt. Empfänger waren Privatpersonen und Personen des öffentlichen Lebens, ausschließlich Frauen, sowie Behörden und Institutionen. Betroffen waren unter anderem die Frankfurter Rechtsanwältin Seda Basay-Yildiz, die jetzige Bundesvorsitzende der Linken, Janine Wissler, und die Berliner Kabarettistin Idil Baydar.

NSU 2.0
:Mit einem Fax fing alles an

Zwischen August 2018 und März 2020 erhielten Politikerinnen und andere Personen des öffentlichen Lebens Drohschreiben, die mit "NSU 2.0" unterschrieben waren. Jetzt erhebt die Staatsanwaltschaft Anklage gegen den mutmaßlichen Täter. Eine Chronologie.

Von Ramona Dinauer, Kathrin Müller-Lancé und Nadja Tausche

Die Schreiben enthielten massive verbale Beleidigungen oder drastische Schimpfwörter gegen Menschen mit türkischen Wurzeln. Außerdem drohte der Verfasser auch mit Gewalttaten und zum Teil der Ermordung von Familienangehörigen der Empfänger.

Der Fall hatte auch deshalb viel Aufmerksamkeit erregt, weil der Täter sich nicht frei zugängliche, personenbezogene Daten über seine ausschließlich weiblichen Opfer beschafft und diese in den Drohschreiben verwendet hatte. Die Ermittler vermuten, dass er sich als Bediensteter einer Behörde ausgab und so an die Daten kam. Es gab zunächst auch den Verdacht, Polizeibeamte seien an den Taten beteiligt gewesen - dieser habe sich aber bei den Ermittlungen nicht erhärtet, teilt die Staatsanwaltschaft mit. Es hätten keine Polizeibeamten in "strafrechtlich relevanter Weise" an Datenabfragen mitgewirkt.

Auch kinderpornografisches Material wurde gefunden

Die Frankfurter Anwältin Seda Basay-Yildiz sieht hier aber weiteren Aufklärungsbedarf. Nach wie vor sei nicht klar, wie etwa ihre Adresse in Umlauf gekommen sei, sagte die Juristin der Deutschen Presse-Agentur am Donnerstag. Das gelte besonders für ihre zweite Adresse nach einem Umzug, die angesichts der bereits eingegangenen Drohschreiben in den polizeilichen Datenbanken mit einem Sperrvermerk versehen war.

"Zudem sind nach meiner Kenntnis in meinem Fall nicht nur persönliche Daten wie Adresse abgefragt worden, sondern es erfolgten auch gezielte Abfragen in polizeilichen Datenbanken nach Verurteilungen beziehungsweise Ermittlungsverfahren gegen mich", sagte Basay-Yildiz, die die erste Adressatin der Drohschreiben gewesen war. Dies sei telefonisch nicht möglich. Die These der Staatsanwaltschaft halte sie nicht für schlüssig, sagte die Juristin, die in dem Verfahren als Nebenklägerin auftreten will. "Ich rechne jedenfalls nicht mehr mit der vollständigen Aufklärung des Sachverhaltes."

Der 53-jährige Angeklagte war bereits am 3. Mai in seiner Berliner Wohnung festgenommen worden. Seitdem saß er in Untersuchungshaft. Bei der Wohnungsdurchsuchung wurden neben einer Vielzahl von elektronischen und schriftlichen Unterlagen auch mehrere Datenträger mit kinder- und jugendpornographischem Bild- und Videomaterial sowie zwei dem Waffengesetz unterliegende Würgehölzer sichergestellt. Der Mann bestreitet die Tatvorwürfe.

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