NSU-Bericht in Thüringen:Landtag bittet Angehörige um Vergebung

"Unsere Behörden haben versagt": Thüringens Landtag hat sich in einer Sondersitzung bei Angehörigen der NSU-Opfer für die desaströsen Ermittlungsfehler entschuldigt. Die Ombudsfrau der Regierung fordert personelle Konsequenzen.

Landtagssondersitzung zu NSU-Bericht

Angehörige der NSU-Opfer und Diplomaten ihrer Herkunftsländer Griechenland bei der Sondersitzung des Landtags in Erfurt.

(Foto: dpa)
  • Thüringens Landtag hat in einer Sondersitzung Angehörige der NSU-Opfer für das Versagen der Behörden um Vergebung gebeten.
  • In der Sitzung wurde der Abschlussbericht des Untersuchungsausschusses debattiert, der die Behörden belastet.
  • Die Ombudsfrau der Regierung fordert personelle Konsequenzen.

Öffentliche Bitte um Vergebung

Scham, Trauer und die Bitte um Vergebung: Thüringens Landtag hat sich bei den Angehörigen der NSU-Opfer für das Versagen der Ermittlungsbehörden entschuldigt. "Beschämt muss ich den Angehörigen von Opfern und den Verletzten des Nagelbombenanschlags in Köln bekennen: Unsere Behörden haben versagt", sagte Thüringens Ministerpräsidentin Christine Lieberknecht (CDU) in einer Sondersitzung des Landtags in Erfurt.

Die Abgeordneten gedachten im Beisein von Angehörigen der Opfer und Diplomaten ihrer Herkunftsländer Griechenland und Türkei der Ermordeten und der bei den Anschlägen Verletzten. Der "Nationalsozialistische Untergrund" (NSU) wird für zehn Morde, mindestens zwei Sprengstoffanschläge und mehrere Banküberfälle verantwortlich gemacht. Die drei Mitglieder der rechtsextremen Terrorzelle stammen aus Thüringen.

Versagen der Behörden

Lieberknecht erklärte, Landtag und Regierung in Thüringen stünden für eine vollständige, schonungslose und transparente Aufklärung der NSU-Verbrechen ein. Das sei die Voraussetzung, um der Vertrauenskrise zu begegnen, "in die uns das Versagen der Behörden gestürzt hat". Nach den Worten von Landtagspräsidentin Birgit Diezel hat Thüringen eine besondere Verantwortung bei der Aufklärung der NSU-Verbrechen.

Die Sondersitzung des Landtags war einberufen worden, um über den Abschlussbericht des NSU-Untersuchungsausschusses zu beraten, der am Donnerstag vorgelegt worden war. Er bescheinigt Verfassungsschutz, Polizei und Staatsanwaltschaft Versagen und spricht von einem Desaster bei der Verfolgung der Neonazi-Terroristen.

Forderungen nach Konsequenzen

Barbara John, die Ombudsfrau der Bundesregierung für die NSU-Opfer und ihre Angehörigen, bezeichnete den Thüringer Bericht als vorbildlich. Die Abgeordneten hätten - ohne sich und andere zu schonen - den Finger in die Wunden gelegt. "Thüringen war das der Bundesrepublik Deutschland schuldig", sagte John in Erfurt. "Aber andere Bundesländer sind es Deutschland auch noch schuldig." In Hessen und Baden-Württemberg müssten etwa noch die Morde an Halit Yozgat und der Polizistin Michèle Kiesewetter aufgeklärt werden.

John forderte personelle Konsequenzen für das Versagen der Ermittlungsbehörden: "Wenn jemand seine Dienstvorschriften nicht beachtet, sie missachtet oder sie einfach ignoriert, dann muss zumindest der Versuch gemacht werden, jemanden zur Rechenschaft zu ziehen." Bislang sei kein einziges Disziplinarverfahren eingeleitet worden. Das sei für die Familien der Opfer vollkommen unverständlich.

Der Grünen-Vorsitzende Cem Özdemir forderte indes einen zweiten NSU-Untersuchungsausschuss des Bundestages. Er halte angesichts einer Vielzahl offener Fragen die Neuauflage für erforderlich, sagte Özdemir am Rande der Sondersitzung des Thüringer Landtages. "Die These vom Behördenversagen befriedigt mich noch nicht. Möglicherweise kommt eine Art Vorsatz dazu", sagte er.

Abgeordnete verschiedener Fraktionen diskutieren derzeit, ob ein zweiter NSU-Untersuchungsausschuss des Bundestages eingesetzt werden soll. Der erste hatte 2013 vor der Bundestagswahl seinen Bericht vorgelegt.

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