NSU-Ausschüsse in Thüringen und Sachsen:Zielfahndung im Niemandsland

NSU Untersuchungsausschuss Thüringen

Die NSU-Ausschüsse des Bundestags und des Bayerischen Landtags haben ihre Arbeit mittlerweile beendet, aber in Sachsen und Thüringen geht die Aufklärung weiter.

(Foto: dpa)

Vor den NSU-Untersuchungsausschüssen in Erfurt und Dresden berichtet ein Kriminalbeamter über die Zusammenarbeit mit dem Verfassungsschutz: Der Dienst habe den Fahndern wichtige Hinweise vorenthalten und Ermittlungen sabotiert. Der Beamte stellt sogar eine eigene Verschwörungstheorie auf.

Von Tanjev Schultz

Für den Kriminalbeamten Sven Wunderlich ist es fast schon Routine: Die Abgeordneten fragen, er antwortet, und aus den Antworten ergeben sich neue Fragen. Als die Neonazis Uwe Mundlos, Uwe Böhnhardt und Beate Zschäpe im Januar 1998 untertauchten, bekam Wunderlich den Auftrag, das Trio zu finden.

Es ist einer der wenigen Fälle in der Karriere des Zielfahnders, bei denen er keinen Erfolg hatte. Nun muss er immer wieder als Zeuge vor den NSU-Untersuchungsausschüssen aussagen, er war schon in Berlin und mehrmals in Dresden und Erfurt. Die NSU-Ausschüsse des Bundestags und des bayerischen Landtags haben ihre Arbeit mittlerweile beendet, aber in Sachsen und Thüringen geht die Aufklärung parallel zum Münchner Gerichtsverfahren weiter, und so sitzt Wunderlich an diesem Montag mal wieder als Zeuge in Erfurt.

Die Ausschussvorsitzende Dorothea Marx (SPD) bittet ihn darzustellen, wie die Fahnder mit dem Verfassungsschutz kooperiert haben. Anfangs waren die Polizisten froh, dass der Geheimdienst Hilfe anbot. Die Zielfahnder waren notorisch überlastet, mit der Neonazi-Szene kannten sie sich nicht aus, und der Fall hatte ohnehin nicht die höchste Priorität. Das Trio wurde wegen Sprengstoff-Delikten gesucht, das übliche Geschäft der Fahnder bestand eher darin, Mörder und andere Schwerverbrecher zu finden. Von den Morden des NSU war damals noch nichts bekannt.

"Unsere Arbeit wurde sabotiert"

Die Fahnder konzentrierten sich auf die Familien des Trios, während der Inlandsgeheimdienst sich um die braunen Kameraden der drei kümmern wollte. Zu Beginn habe er dem Dienst voll vertraut, sagt Wunderlich. Im Laufe der Zeit wuchs das Misstrauen, weil die Verfassungsschützer den Fahndern wichtige Hinweise vorenthalten hätten, etwa zu möglichen Überfällen und einer Bewaffnung des Trios. Der Verfassungsschutz trat zudem ohne Absprache an die Eltern der Gesuchten heran. "Unsere Arbeit wurde sabotiert", sagt Wunderlich. Bei den Fahndern reifte der Verdacht, der Geheimdienst würde das Trio decken.

Dafür gibt es keine Belege, und die Verfassungsschützer haben den Vorwurf vehement zurückgewiesen. Wunderlich spricht von einer "Hypothese". Geheimdienst-Mitarbeiter behaupten, sie hätten durchaus alles Wichtige an die Polizei weitergegeben, wenn auch oft nur mündlich. Die Vorwürfe der Polizei nennt der frühere Thüringer Verfassungsschutzchef Helmut Roewer am Montagabend "widersinnig".

Zwar glauben die Abgeordneten ihm nicht alles, aber auch die Angaben der Polizei müssen sie mit Vorsicht betrachten. Katharina König (Linke) arbeitet heraus, dass der Fahnder Wunderlich über Hinweise verfügte, die er bisher verschwiegen hat oder an die er sich nicht erinnern konnte. So gibt es einen handschriftlichen Vermerk von ihm über einen Wagen, der an der Autobahn liegen geblieben war. Es war das mutmaßliche Fluchtauto des Trios.

Wunderlich beharrt darauf, er habe nicht gewusst, dass es das Fluchtfahrzeug war. Aber den Zusammenhang zum Trio sah er damals: Der Vermerk stammt aus den Fahndungsakten zum Trio. Darauf notiert sind auch die Namen mutmaßlicher Unterstützer in Chemnitz. Nach der Flucht vermuteten die Behörden, das Trio könnte im Ausland sein. Doch auch in Chemnitz ermittelten sie erstaunlich intensiv - dorthin waren die drei, wie man heute weiß, tatsächlich gezogen, bevor sie später in Zwickau wohnten. Die Spur nach Sachsen war richtig, dennoch gelang keine Festnahme.

Lustlose CDU- und FDP-Abgeordnete in Sachsen

In Thüringen sind die meisten Abgeordneten engagiert bei der Sache. Das kann man von dem Ausschuss in Sachsen nur bedingt behaupten. Dort wirken CDU und FDP ziemlich lustlos. Als Wunderlich vor Kurzem in Dresden aussagte, kam von der Union gleich die Ansage, man habe gar keinen Bedarf für Fragen. Die Liberalen waren zunächst nicht anwesend und schickten erst später jemanden vorbei.

Dafür konnte der NPD-Abgeordnete Arne Schimmer seine von Sachkenntnis weitgehend unberührten Fragen stellen: Warum denn nur Uwe Böhnhardt Ziel der Fahndung gewesen sei, und nicht auch Mundlos und Zschäpe? Im Saal rollen einige mit den Augen oder blicken genervt hinaus auf den verhangenen Himmel über der Semperoper. Zeuge Wunderlich fertigt den NPD-Mann ab: "Da sind Sie völlig falsch informiert." Die Fahndung betraf nicht allein Böhnhardt, sondern das Trio; das ist bestens dokumentiert und völlig unstrittig.

Wie in Thüringen arbeiten in Sachsen die Vertreter der Linken besonders eifrig im NSU-Ausschuss mit. Die Abgeordnete Kerstin Köditz möchte so viel wissen, dass sie die Sitzung gut allein mit dem Zeugen bestreiten könnte. Auf ihr Nachhaken hin schildert der Fahnder beispielsweise, wie er entdeckte, dass bei der Suche nach dem Trio auch Beamte des Bundesamts für Verfassungsschutz aus Köln an Observationen beteiligt waren. Der Fahnder bekam das eher zufällig mit, weil er sich über die Auto-Kennzeichen und den Dialekt der Beamten wunderte und daraufhin offensiv nachfragte. Offiziell informiert habe ihn niemand, sagt Wunderlich. So seien die Geheimdienste halt.

Ein Thüringer Verfassungsschützer hat mal, eher verharmlosend, von einer "gewissen Rivalität" zum Landeskriminalamt gesprochen. Die Behörden trauten einander nicht über den Weg, und Sven Wunderlich stellt auch am Montag wieder die Frage, ob der Geheimdienst vielleicht gar kein Interesse daran hatte, dass die Polizei das Trio findet. Die Theorien von Verrat und Verschwörung kommen in diesem Fall nicht von außen. Sie haben ihren Ursprung in den Sicherheitsbehörden selbst.

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