NSU-Affäre:Thüringens Verfassungsschutz-Chef muss Amt aufgeben

In der Affäre um vernichtete Neonazi-Akten muss nun auch Thüringens Verfassungsschutz-Chef gehen. Thomas Sippel stand wegen seiner Informationspolitik in der Kritik. Der Vorsitzende des Bundestags-Untersuchungsausschusses will weitere Rücktritte nicht ausschließen.

Tanjev Schultz, Berlin

Das Beben in den deutschen Geheimdiensten klingt nicht ab. Nach dem Chef des Bundesamtes für Verfassungsschutz muss nun auch der Präsident des Landesamtes in Thüringen gehen. Thomas Sippel wird vom dortigen Innenminister Jörg Geibert (CDU) in den einstweiligen Ruhestand versetzt. Das teilte Geibert am Dienstagabend mit.

Sippel "hat nicht mehr das Vertrauen des Parlamentes", begründete der Minister den Rauswurf. Die parlamentarische Kontrolle sei eine wesentliche Grundlage für die Arbeit des Nachrichtendienstes. Der jetzt 55 Jahre alte Sippel hatte das Amt Ende des Jahres 2000 übernommen.

Die Abgeordneten waren zuletzt sehr ungehalten über Sippels Informationspolitik. Im Landesamt existieren offenbar mehr Akten zu der mysteriösen "Operation Rennsteig" als bisher bekannt. Das Landesamt war zwischen 1996 und 2003 an der Operation Rennsteig beteiligt, mit der das Bundesamt für Verfassungsschutz und der Militärische Abschirmdienst die Neonazi-Szene in Thüringen ausspionieren wollten.

Aus dieser Szene stammte das Trio in Jena, das 1998 untertauchte und später die Zwickauer Terrorzelle bildete. Sieben Akten zu der Operation wurden im Bundesamt einfach vernichtet; das war der Auslöser für den Amtsverzicht von Bundesamt-Chef Heinz Fromm. Das Landesamt verfügt jedoch ebenfalls über Dokumente.

Geibert sicherte den Abgeordneten des Landtages zu, dass sie Einsicht in die V-Leute-Datei des Landesamtes erhalten. Dies sei so auch mit Bundesinnenminister Hans-Peter Friedrich (CSU) abgesprochen. Die Parlamentarier des Bundestags wiederum dürfen die entsprechende Datei des Bundesamtes einsehen. Darin erfasst der Geheimdienst die realen Namen seiner Informanten.

Geibert verwies darauf, dass sein Ministerium mit der Einsetzung der sogenannten Schäfer-Kommission bereits im vergangenen Jahr die Grundlage für eine "transparente Aufklärung" gelegt habe. In Thüringen, aber auch im Bundestag hatte es zu großem Unmut geführt, dass die Abgeordneten erst vor kurzem über die Operation Rennsteig Kenntnis erlangten. Im Bericht der Schäfer-Kommission, benannt nach dem ehemaligen Bundesrichter Gerhard Schäfer, gab es dazu noch keine Angaben.

"Ich hoffe, dass da noch ein Bild entsteht"

Der im Mai vorgelegte Bericht übte aber bereits scharfe Kritik an Thüringens Verfassungsschutz. Die Zusammenarbeit mit der Polizei wurde als unzureichend und untauglich beschrieben, ebenso die Methoden, mit denen der Geheimdienst arbeitete.

An diesem Mittwoch erwarten Thüringens Abgeordnete weitere Informationen, und die Mitglieder des Untersuchungsausschusses im Bundestag werden nach Berlin-Treptow pilgern. Dort hat das Bundesamt, dessen Hauptsitz in Köln liegt, eine Außenstelle. In Treptow können sie die noch nicht gelöschten Dokumente der Operation Rennsteig einsehen. Sieben Akten waren geschreddert worden. "Ich hoffe, dass da noch ein Bild entsteht", sagt Sebastian Edathy (SPD). Ihn und seine Kollegen im Ausschuss treibt die Frage um, ob der Geheimdienst etwas vertuschen wollte.

Die Grünen möchten am liebsten die früheren Vertrauenspersonen und V-Mann-Führer persönlich vor den Ausschuss laden, also die ehemaligen Spitzel sowie jene Beamte, die diese betreut haben. Am Donnerstag will der Ausschuss möglichst den Referatsleiter vernehmen, der die Akten im Bundesamt vernichten ließ. Außerdem wird Verfassungsschutzpräsident Fromm als Zeuge erwartet, der noch bis Ende Juli im Amt ist.

Die Abgeordneten betonen, es sei zu prüfen, ob sich das Versagen auch auf Staatssekretäre und Minister erstrecke. Der Ausschussvorsitzende Edathy wollte weitere Rücktritte nicht ausschließen: "Je mehr man unter den Teppich kehren möchte, desto größer ist die Wahrscheinlichkeit, dass man irgendwann über den Teppich stolpert."

Edathy warf dem hessischen Ministerpräsidenten Volker Bouffier (CDU) vor, während seiner Zeit als hessischer Innenminister 2006 eine Strafverfolgung behindert zu haben. Die Polizei habe dort nicht ausreichend Zugang zu Verfassungsschutz-Quellen erhalten. Hessens Regierungssprecher nannte die Kritik "absurd".

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