Der Mann, der angeklagt ist, "NSU 2.0" zu sein, ist schwer auf dem Sitz zu halten. Ein inneres Brodeln treibt ihn um, wie ein Vulkan, der ständig droht auszubrechen. Die Richterin ermahnt ihn, der Angeklagte möge nicht dauernd dazwischenreden. Er solle die Anwältin aussprechen lassen, die eines seiner Opfer vertritt. Die Richterin ermahnt ihn ein zweites Mal. Dann ein drittes Mal. Dann zählt man nicht mehr mit. Alexander M., 54, Berliner, Computernerd und Rechtsextremist, redet, unterbricht, redet, dann sagt er zur Vertreterin der Nebenklage: "Die spinnt doch." Und das ist erst Tag zwei in diesem Prozess.
Alexander M. soll unter dem Namen NSU 2.0 mehr als zwei Jahre lang Anwältinnen, Journalistinnen, Politikerinnen beleidigt und bedroht haben, vor allem Frauen. In mehr als 100 E-Mails drohte NSU 2.0 ihnen: Man werde ihre Kinder töten. Er stellte die Privatadresse der Frankfurter Anwältin Seda Başay-Yıldız ins Netz und rief dazu auf, sie zu töten. Alexander M. aber sagt: Er war das nicht.
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Als Anwältin Antonia von der Behrens ihm vorhält, er habe wohl ein Problem mit Frauen, explodiert der Angeklagte: "Dass ich ein Problem mit Frauen habe! Vielleicht mit einer solchen Sorte von Frauen, wie Sie es sind."
Ansonsten sagt er: "Sämtliche Tatvorwürfe werden energisch bestritten. In keinem einzigen Fall habe ich eine Straftat begangen." Ja, sicher, er sei seit Jahrzehnten im Internet aktiv, und er sei auch in einer geschlossenen Gruppe im Darknet gewesen, wo Rechtsradikale über Politik geredet hätten. Aber nur kurz: von Mitte 2019 bis Sommer 2020. Die Drohungen von NSU 2.0 aber begannen im August 2018 und gingen bis ins Frühjahr 2021. "Die Teilnehmer waren durchweg intelligent, allerdings auch ziemlich arrogant", sagt Alexander M. über die Mitglieder der Chatgruppe. Und er sei sich sicher: "Der NSU 2.0 wurde von dort aus koordiniert. Ich war mir subjektiv sicher, dass auch Polizisten involviert waren."
Er belastet die Polizisten, will aber keine Namen nennen
Das ist seine Verteidigungslinie: Polizisten waren es, nicht er. Er will den Namen der Chatgruppe aber nicht nennen. Er will auch keine Namen nennen, obwohl er das könnte, wie er sagt, das bringe ihm nur Nachteile. Und er sagt Dinge, die sich sofort widerlegen lassen, noch in der Verhandlung. Dass er internes Polizeiwissen habe, zum Beispiel über einen hessischen Polizisten, der Selbstmord begangen habe, indem er an eine Brücke gefahren sei. Das wisse niemand sonst, betont er. Der Verkehrsunfall des Polizisten aber stand in den regionalen Zeitungen.
Man könnte das alles also abtun, wenn es nicht einen ernsthaften Verdacht gegen hessische Polizisten gäbe, die Drohungen gegen die Anwältin initiiert und ihre geheime Anschrift weitergegeben zu haben. Der Angeklagte strickt seine Verteidigungsstrategie um diesen Verdacht herum. Denn die vertraulichen Daten von Başay-Yıldız wurden in einer Frankfurter Polizeiwache abgerufen, sogar die ihrer zweijährigen Tochter - eineinhalb Stunden später kam das erste Drohfax. Die Anklage wirft Alexander M. vor, er habe die Daten durch raffinierte Anrufe in Polizeidienststellen ergattert. "Hanebüchener Unsinn", sagt der Angeklagte. "Keiner würde Daten eines minderjährigen Mädchens wie der Tochter der Anwältin herausgeben. Kein Beamter hat gesagt, er sei durch einen Anruf getäuscht worden, sie haben nur die Aussage verweigert." Letzteres wiederum stimmt.
Die Polizei war dem Angeklagten über Einträge auf dem rechten Diskussionsforum PI-News und einer Schachplattform auf die Spur gekommen, er aber sagt, er habe dort nie ein Profil gehabt. Alexander M. bestreitet die ganze Anklage, vor allem auch, dass er rechtsextremistisch sei. Nachfragen will er nicht beantworten.