Süddeutsche Zeitung

Rechtsextremismus:Experten fordern schnelle Reformen für Polizei in Hessen

Terror-Drohmails und menschenverachtende Chatgruppen - was lässt sich aus dem hessischen Polizeiskandal lernen? Eine Kommission hat 58 Empfehlungen erarbeitet. Das Land müsse "ein Exempel statuieren".

Von Jan Bielicki

Einer verschickte ein Bild des Vernichtungslagers Auschwitz, Unterschrift: "Das ist eine Judenherberge." Ein anderer montierte einen kopulierenden Hunderüden in ein Foto der Leiche eines ertrunkenen Flüchtlingskindes. Wieder andere Teilnehmer der Chats quittierten die menschenverachtenden Sendungen mit Smileys und Like-Daumen. Und fast alle waren sie Polizisten.

"Wir haben es mit Bildern zu tun, die einem den Atem nehmen", sagte Jerzy Montag. Der Ex-Bundestagsabgeordnete der Grünen beschrieb am Montag Beispiele aus den vor einem Jahr aufgeflogenen Chatgruppen hessischer Ordnungshüter, um das Ausmaß des Polizeiskandals im Land brutal anschaulich zu machen. 47 solcher Chatgruppen wurden bisher entdeckt, 136 Polizeibeamte waren an ihnen beteiligt, bilanzierte Montag nun als Vize-Vorsitzender einer Experten-Kommission, die aus der hessischen Affäre um Drohmails, illegale Datenabfragen und rechtsextreme Chats Folgerungen ziehen sollte.

Als "besorgniserregend" bezeichnet die Kommission in ihrem nun vorgelegten Abschlussbericht Tendenzen in der Polizei, solche Fälle von gruppenbezogener Menschenfeindlichkeit und Rechtsextremismus zu relativieren - auch durch Vorgesetzte. Die Experten fordern Reformen und haben dazu 58 Einzelempfehlungen formuliert, die sie schnell umgesetzt sehen wollen. "Für die Polizei in Hessen ist ein kritischer Moment erreicht", sagte die Vorsitzende des Gremiums, die Kölner Verfassungsrechtlerin Angelika Nußberger, bis 2020 Richterin am Europäischen Gerichtshof für Menschenrechte. Das Land müsse "ein Exempel statuieren".

Kommission: Polizeianwärter strenger durchleuchten

Hessens Innenminister Peter Beuth (CDU) hatte die Kommission vor elf Monaten eingesetzt. Zuvor hatten Ermittlungen zu rechtsradikalen Drohmails gegen die Anwältin Seda Başay-Yıldız, die Kabarettistin İdil Baydar und die heutige Linken-Bundeschefin Janine Wissler eher zufällig extremistische Chats unter hessischen Polizeibeamten zu Tage gebracht. Ein mutmaßlicher Verfasser der in Anspielung auf die rechtsextreme Terrorgruppe mit "NSU 2.0" gezeichneten Drohschreiben wurde zwar gefasst. Er ist kein Polizist, es ist aber weiter ungeklärt, warum vor Eingang der Mails Daten der Bedrohten in hessischen Polizeicomputern abgefragt wurden.

Die Experten empfehlen unter anderem, Polizeianwärter strenger zu durchleuchten, etwa durch Regelanfragen beim Verfassungsschutz. Sie fordern, Polizeibeamte stärker für den Kampf gegen Rechtsextremismus zu sensibilisieren und das Disziplinarrecht zu ändern, um extremistische Betätigung strenger ahnden und interne Whistleblower ermutigen zu können. Denn unter den Polizisten, die Zugang zu den rechtsextremen Chats hatten, fand sich laut Montag kein einziger, der widersprach oder gar einen Vorgesetzten informierte.

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