Süddeutsche Zeitung

Rechsextremismus:"NSU 2.0"-Ermittler nehmen Ex-Polizisten fest

Ein ehemaliger bayerischer Beamter und seine Frau stehen im Verdacht, Drohbriefe an Politikerinnen verschickt zu haben. Das Paar bestreitet, etwas mit den Mails zu tun zu haben.

Von Florian Flade, Georg Mascolo und Ronen Steinke, Berlin

In dem Ermittlungsverfahren um anonyme Drohmails mit dem Absender "NSU 2.0" ist im bayerischen Landshut zwischenzeitlich ein pensionierter Polizist als Verdächtiger festgenommen worden. Am Freitag befragten Ermittler im Auftrag der Staatsanwaltschaft Frankfurt den 63-Jährigen. Hintergrund ist offenbar, dass die Mailadresse, von der aus in der Nacht auf den vergangenen Mittwoch die Fraktionsvorsitzende der Linken im Bundestag, Amira Mohamed Ali, sowie ihre Fraktionskolleginnen Sevim Dağdelen und Akbulut Gökay bedroht worden waren, ein Pseudonym beinhaltet, das dieser Polizist seit Längerem im Internet verwendet.

Die Mailadresse soll für sechs der insgesamt mehr als 70 Drohmails verwendet worden sein, die alle mit "NSU 2.0" gezeichnet waren. Der Ex-Polizist, der unter anderem für das neurechte Internetportal Politically Incorrect schreibt und ein eigenes Blog betreibt, beteuerte im Gespräch mit Süddeutscher Zeitung, WDR und NDR, er habe nichts mit den "NSU 2.0"-Drohmails zu tun und wisse auch nicht, wer dahinterstecke. Jemand wolle offenbar gezielt die Polizei auf eine falsche Spur lenken. Die Drohschreiben an diverse Politikerinnen, Künstlerinnen und Journalistinnen nannte er "widerlich" und ergänzte, er hoffe, dass man die Verantwortlichen finden werde. Er kooperiere außerdem vollumfänglich mit der Polizei, die derzeit seinen Computer auswerte.

Der Ex-Polizist, der in den vergangenen Jahren verschiedentlich wegen rechtsmotivierter Straftaten in Erscheinung getreten sein soll, wurde nach der Befragung wieder freigelassen, ebenso wie seine 55 Jahre alte Frau, die ebenfalls als Verdächtige befragt wurde. Einen Haftbefehl beantragten die Ermittler nicht. In Kreisen der Ermittler wird derzeit nicht davon ausgegangen, dass es sich bei den beiden - sofern sie denn wirklich hinter der fraglichen Mailadresse stecken - um den oder die Haupttäter handelt, mit denen die Serie der Bedrohungen begann. Vielmehr handele es sich vermutlich um Trittbrettfahrer.

Bereits seit Wochen vermutet die hessische Justiz, dass sich hinter einer ganzen Reihe der Drohschreiben eben solche Trittbrettfahrer verbergen. Die Zahl der mit "NSU 2.0" unterzeichneten Mails hat in den vergangenen Wochen stark zugenommen. In dem Schreiben an die drei Linkenpolitikerinnen von vergangener Woche hatte es geheißen: "wir wissen wo ihr steckt (...) kennen all eure Familienmitglieder". Private Daten der Betroffenen waren allerdings nicht enthalten, anders als in früheren Drohmails etwa an die Frankfurter Rechtsanwältin Seda Başay-Yıldız. Dort standen Adressdaten, die nicht öffentlich zugänglich waren und die kurz zuvor an einem Polizeicomputer in Frankfurt abgefragt worden waren. Bayerns Innenminister Joachim Herrmann (CSU) betonte, dass sich ein Beamter auch im Ruhestand nicht extremistisch betätigen dürfe: "Sollte sich der Verdacht bestätigen, drohen dem ehemaligen Beamten harte dienstrechtliche Sanktionen bis hin zur Aberkennung des Ruhegehalts."

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SZ vom 28.07.2020
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