NSA-Whistleblower:So könnte Snowden vernommen werden

Wie würde eine Vernehmung von Whistleblower Edward Snowden in Moskau funktionieren? Auf welcher Grundlage könnte er nach Berlin kommen? Und wäre er hier in Sicherheit? Fragen und Antworten zum wichtigsten Zeugen im NSA-Abhörskandal.

Von Heribert Prantl

Kann die Justiz und/oder ein Parlamentarischer Untersuchungsausschuss Edward Snowden in Moskau vernehmen?

Das ist möglich. Es handelt sich um eine sogenannte kommissarische Vernehmung im Ausland. Es muss aber die Zustimmung des Gastlandes vorliegen, weil es sich um die Ausübung von deutschen Hoheitsrechten auf dem Boden eines anderen Staates handelt. Die Zustimmung muss auf dem Weg der Rechtshilfe eingeholt werden.

Wo ist diese Vernehmung geregelt?

Paragraf 223 der Strafprozessordnung lautet: "Wenn dem Erscheinen eines Zeugen in der Hauptverhandlung für eine längere oder ungewisse Zeit Krankheit oder Gebrechlichkeit oder andere nicht zu beseitigende Hindernisse entgegenstehen, kann das Gericht seine Vernehmung durch einen beauftragten oder ersuchten Richter anordnen." Eine solche Vernehmung kann auch schon lange vor einer Hauptverhandlung erfolgen. Auf die Arbeit eines Parlamentarischen Untersuchungsausschusses sind die Regeln des Strafprozessrechts entsprechend anwendbar.

Wie praktikabel ist die Vernehmung im Ausland?

Es könnte eine mehrmalige Vernehmung notwendig sein. Dann wird es kompliziert. Der Untersuchungsausschuss kann zur Vernehmung des Zeugen Snowden auch einen Ermittlungsbeauftragten heranziehen, wie er in Paragraf 10 des Parlamentarischen Untersuchungsausschuss-Gesetzes vorgesehen ist. Solche Beauftragte (sie müssen nicht Mitglied des U-Ausschusses, auch nicht Parlamentarier sein, es könnte sich um einen ehemaligen Staatsanwalt oder Richter handeln) bereiten die Untersuchung durch den U-Ausschuss vor.

Kann Snowden, wenn er in Moskau vernommen wird, bei dieser Gelegenheit Asyl beantragen?

Nein. Asyl kann man nur auf deutschem Boden beantragen, auch nicht auf dem Gelände einer Botschaft oder eines Konsulats. Nach den Flüchtlingskatastrophen von Lampedusa hat allerdings eine Diskussion darüber eingesetzt, ob eine Antragstellung im Ausland künftig möglich sein soll.

Welche Möglichkeiten gibt es für Snowden, legal nach Deutschland zu kommen?

Er kann eine Aufenthaltserlaubnis nach Paragraf 22 Aufenthaltsgesetz beantragen: "Einem Ausländer kann für die Aufnahme aus dem Ausland aus völkerrechtlichen oder dringenden humanitären Gründen eine Aufenthaltserlaubnis erteilt werden." Ob er sie bekommt, steht im Ermessen der Behörden. Eine Aufenthaltserlaubnis muss erteilt werden, wenn das Bundesinnenministerium dies zur Wahrung politischer Interessen der Bundesrepublik als nötig erklärt; dann berechtigt die Erlaubnis auch zur Ausübung einer Erwerbstätigkeit. In der juristischen Literatur heißt es, das Ermessen des Ministers, die Aufenthaltserlaubnis zu erteilen, sei "auf null" reduziert, wenn die Justiz oder ein Untersuchungsausschuss den Zeugen nach Deutschland lade. Dann müsse die Aufenthaltserlaubnis zwingend erteilt werden. Gegenstimmen sagen, selbst dann seien im Rahmen der "Wahrung politischer Interessen" die transatlantischen Beziehungen zu berücksichtigen.

Riskiert Snowden, in die USA ausgeliefert zu werden, sobald er in Deutschland angekommen ist?

Die USA begehren diese Auslieferung und werden sofort einen entsprechenden Haftbefehl präsentieren. Ob dann wirklich ausgeliefert werden muss, bemisst sich nach den Vorschriften des Gesetzes über die internationale Rechtshilfe in Strafsachen und nach dem Rechtshilfeabkommen, das Deutschland und die USA geschlossen haben. Dort steht, dass nicht ausgeliefert wird, wenn Deutschland die Straftat, wegen der die Auslieferung gefordert wird, als Straftat mit politischem Charakter betrachtet. Die rechtliche Beurteilung obliegt zunächst dem Oberlandesgericht; bei einem Aufenthalt Snowdens in Berlin wäre dies das Kammergericht. Wenn es die Auslieferung ablehnt, wäre für Snowden alles gut. Wenn es die Auslieferung für zulässig hält, kann die Bundesjustizministerin diese immer noch ablehnen. Sie könnte auch schon vorab erklären, dass sie auf jeden Fall eine Auslieferung Snowdens ablehnt. Es gibt allerdings Stimmen, die das mögliche Risiko einer Entführung von Snowden aus Deutschland in die Vereinigten Staaten für größer halten als das rechtliche Auslieferungsrisiko.

Hätte Snowden dann die größtmögliche Sicherheit in Deutschland, wenn ihm hier Asyl gewährt würde?

Nein. Auslieferung kann auch einem anerkannten Asylbewerber drohen. Das ergibt sich aus Paragraf 4 des Asylverfahrensgesetzes: Danach ist die Entscheidung über den Asylantrag "in allen Angelegenheiten verbindlich", aber "nicht für das Auslieferungsverfahren". Auch der anerkannte Flüchtling muss also danach trachten, dass er unter einen der Paragrafen fällt, bei denen Auslieferung nicht in Betracht kommt. Fälle, in denen anerkannte Flüchtlinge ausgeliefert wurden, sind freilich kaum bekannt.

Zur SZ-Startseite

Lesen Sie mehr zum Thema

Jetzt entdecken

Gutscheine: