Süddeutsche Zeitung

NSA-Untersuchungsausschuss und Snowden:Zum Kaffeekranz nach Moskau

Kommt Edward Snowden als Zeuge nach Deutschland? Die Bundesregierung mauert. Union und SPD wollen ihn zwar durchaus im NSA-Untersuchungsausschuss hören. Aber bitte in Moskau und zunächst mal ganz unverbindlich. Die Opposition ist genervt. Sie will brisante Telefonprotokolle der Kanzlerin einsehen.

Von Thorsten Denkler, Berlin

Die Freude ist durchaus groß im NSA-Untersuchungsausschuss. Darüber, dass Generalbundesanwalt Harald Range nach einigem Hin und Her jetzt doch ermitteln will. Wenn auch nur wegen Merkels Handy, das vom US-Militärgeheimdienst abgehört wurde. Aber im Ausschuss freuen sie sich schon auf die Ermittlungsakten, die Range hoffentlich beisteuern wird.

Da endet aber schon ein Großteil der Einigkeit. Streit entzündet sich nach wie vor an der Frage, ob Snowden in Deutschland vor dem NSA-Ausschuss aussagen kann. An diesem Donnerstag geht es weiter im Ausschuss.

Die Bundesregierung mauert in dieser Frage. In mehreren Schreiben an den Ausschuss hat sie deutlich gemacht, dass sie Sicherheitsprobleme für Snowden, vor allem aber eine Gefahr für die transatlantischen Beziehungen sehe.

Im jüngsten Brief vom 2. Juni schreibt das federführende Innenministerium, es bestehe "gegenwärtig kein Anlass" für eine Neubewertung der Frage. Das Schreiben liegt SZ.de vor. Klare Aussagen finden sich darin nicht. Muss etwa Snowden wegen eines Auslieferungsersuchens der USA festgenommen werden, sobald er deutschen Boden betritt? Das werde "gegenwärtig geprüft", heißt es nur. Ob Interpol eine solche Entscheidung gefällt hat? Dazu kann die Bundesregierung "keine Aussage treffen". Jedenfalls gebe es "bisher kein Festnahmeersuchen", das in der Interpol-Fahndungsdatenbank zu finden wäre.

Keine Sicherheit für Snowden

Auch kann die Bundesregierung "nicht abschließend beurteilen", ob es im Fall Snowden ein Auslieferungshindernis gibt. Das wäre etwa gegeben, wenn der von ihm begangene Geheimnisverrat von der Bundesregierung als politische Straftat eingeordnet werden würde. Sie will sich da offenbar nicht festlegen lassen. Deswegen könne die Bundesregierung Snowden weder zusichern, nicht festgenommen, noch, nicht ausgeliefert zu werden. Auf die entsprechenden schriftlichen Fragen des Ausschusses an die Bundesregierung antwortet diese nur mit zwei knappen "Nein".

Snowden dürfte das als Sicherheit kaum reichen. Martina Renner von der Linken fordert deshalb von Ausschusschef Patrick Sensburg (CDU), dass er Snowden jetzt möglichst schnell formal zum einem beliebigen Termin nach Deutschland vorlädt. So könne die Bundesregierung zur Amtshilfe gezwungen werden. Etwa indem sie Snowden auf dessen Wunsch Ersatzpapiere ausstellt.

Sensburg und die Obleute von Union und SPD aber bevorzugen erst mal eine Art Kennenlerngespräch, das in Moskau stattfinden kann. Dabei wollen sie ausloten, was Snowden wirklich beizutragen hat. In der Ausschusssitzung an diesem Donnerstag soll deshalb ein Antrag verabschiedet werden, in dem Snowden gebeten wird, möglichst noch vor dem 2. Juli für so ein Gespräch in Moskau zur Verfügung zu stehen.

Diese Idee sei "ausgemachter Unsinn" ereifert sich Grünen-Obmann Konstantin von Notz. Linkenpolitikerin Martina Renner sagte am Mittwoch ihre Teilnahme an einem Trip nach Russland vorsorglich ab. Renner und von Notz teilen die Sorge, dass die russische Regierung den Parlamentarier-Ausflug ins Reich von Wladimir Putin publizistisch für sich ausschlachten könnte. Nach dem Motto: Willkommen im Land der Freiheit! Und jetzt bitte lächeln.

Zum anderen sei ein solcher Ausflug mit der Arbeit des Ausschusses nicht vereinbar. Der Ausschuss kann Zeugen laden und Akten anfordern. Nicht aber zu einem Kaffeekränzchen mit möglichen Zeugen nach Moskau aufbrechen, so Renner und von Notz.

Das sehen die Obleute der Koalition etwas anders. Roderich Kiesewetter von der Union etwa findet: "Wenn Herr von Notz nicht mitreisen will, dann reist er eben nicht mit." Und dass die Russen aus der Reise keinen PR-Coup für sich machen, darauf werde schon das Auswärtige Amt achten, das die Reise organisieren müsste. Allerdings müsste auch Snowden bereit sein, an so einem Treffen teilzunehmen. Bisher zeigt er sich nicht sehr begeistert. Mehrfach hat er über seinen Anwalt ausrichten lassen, nicht in Moskau aussagen zu wollen.

Offen ist auch die Frage, was eigentlich aus den Erkenntnissen der vergangenen Sitzung des NSA-Ausschusses wird. Vor einer Woche waren dort drei hochangesehene Verfassungsrechtler zu Gast. Zur allgemeinen Überraschung erklärten sie unisono, der Bundesnachrichtendienst (BND) arbeite derzeit nicht auf dem Boden des Grundgesetzes.

Chuzpe des BND

Für die Union ergibt sich daraus lediglich ein Prüfauftrag, die SPD sieht dringenden Handlungsbedarf, Linke und Grüne würden am liebsten sofort die Gesetze ändern. Dass andererseits der Bundesnachrichtendienst jetzt 300 Millionen Euro haben will, um soziale Netzwerke besser durchforsten zu können, finden Union und SPD nicht so schlimm.

Für die Linke Renner dagegen grenzt das an einen Affront. Der NSA-Ausschuss soll ja gerade untersuchen, wie der BND arbeitet. Eine erste Erkenntnis ist, dass er zumindest rechtlich auf wackligen Beinen steht. In dieser Situation die eigenen Fähigkeiten noch ausweiten zu wollen, das zeugt für Renner und andere Kritiker von einer gewissen Chuzpe des BND.

Eine kleine Überraschung hält die Linke übrigens noch bereit: Sie will brisante Protokolle einsehen. Es geht um Telefonate, die Kanzlerin Angela Merkel und US-Präsident Barack Obama seit Beginn der NSA-Affäre vor einem Jahr geführt haben. Wenn die Partei das durchbekommt, könnten sich daraus unangenehme Fragen an Merkel ergeben. Etwa in welchem Umfang sie von den NSA-Spähangriffen bereits wusste. Die spannendsten Zeiten stehen dem Untersuchungsausschuss wohl noch bevor.

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