Süddeutsche Zeitung

NSA-Skanal:US-Spionage ist eine Demütigung für Deutschland

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Die neuen Enthüllungen in der NSA-Affäre zeigen, dass wirklich nichts und niemand vor Washingtons Spionen sicher ist. Die Duldsamkeit der Bundesregierung ist kaum noch zu ertragen.

Kommentar von Tanjev Schultz

Ami, go home!" Diesen Slogan verwendeten früher Kommunisten und Friedensbewegte, um den Abzug amerikanischer Soldaten zu fordern. Einige von denen, die "Ami, go home!" skandierten oder als Graffito an die Wand sprühten, waren fanatische Amerikafeinde. Sie regten sich zu Recht über das Unrecht auf, das die USA beispielsweise in Vietnam begingen, aber ihr Weltbild war schlicht: Amis sind böse. Die Mehrheit in der Bundesrepublik sah es glücklicherweise differenzierter, und das ständige Gerede der deutschen Politiker von "unseren amerikanischen Freunden" war wirklich mehr als nur eine höfliche Floskel. Nun aber müssten auch die treuesten Amerikafreunde allmählich die Geduld und den Glauben an diesen Freund verlieren.

Die neuen Enthüllungen in der NSA-Affäre zeigen, dass wirklich nichts und niemand im politischen Betrieb vor den US- Spionen sicher ist. Die Duldsamkeit der Bundesregierung ist kaum noch zu ertragen. Man kann sie nicht als Ausdruck besonnener Realpolitik verteidigen. Denn es geht auch um die Selbstachtung des Rechtsstaats. Ami, go home!

Viele wollen nicht mehr über die NSA-Chose reden

Im vergangenen Jahr drang die Bundesregierung darauf, dass ein Repräsentant der amerikanischen Geheimdienste Deutschland verlässt. Das war's dann. Es kam ein Neuer, und mit Sicherheit sind auch die anderen Spione alle noch da. Das Beschwichtigen hört nicht auf. Aus deutschen Sicherheitsbehörden kommt mittlerweile ein seltsames Jammern: Deutschland sei nun mal auf die US-Dienste angewiesen, die Medienveröffentlichungen zur Spionage würden jetzt alles kaputt machen. Am liebsten würden viele über die NSA-Chose gar nicht mehr reden. Sie haben sich damit abgefunden, dass die Amerikaner nicht zu stoppen sind.

Der Generalbundesanwalt musste dazu getragen werden, ein Ermittlungsverfahren zum ausgespähten Merkel-Handy einzuleiten. Kaum hat er das Verfahren kleinlaut wieder eingestellt, weil die Belege angeblich nicht ausreichen, kommen die nächsten Enthüllungen. In der Zeitung können die Juristen in Karlsruhe nun nachlesen, wer da alles im deutschen Regierungsapparat auf den Überwachungslisten steht. Wenn es schon in der Politik keinen Mumm gibt, den Amerikanern entschieden entgegenzutreten, müssten wenigstens die Juristen mehr Eifer zeigen. Aber ob beim Drohnenkrieg, der auch von deutschem Boden aus gesteuert wird, oder bei der Spionage: Die Staatsanwälte wirken gehemmt.

Natürlich ist es unglaublich schwierig, gegen Amerikas Spione vorzugehen. Die USA schützen ihre Agenten. Rechtshilfeersuchen laufen ins Leere, und eine Auslieferung der NSA-Chefs ist etwa so wahrscheinlich wie die Landung eines Außerirdischen auf der Freiheitsstatue. Hinzu kommt, dass auch Spionage verjährt. Alles, was die Geheimdienste während der Kanzlerschaft von Helmut Kohl und Gerhard Schröder getrieben haben, lässt sich strafrechtlich nicht mehr ahnden. Dennoch ist nun energisches Ermitteln notwendig. Das Ausspähen ging und geht ja weiter, und es kann nicht sein, dass der Generalbundesanwalt indische, türkische und russische Agenten verfolgt, bei den Amerikanern aber andere Maßstäbe anlegt. In Italien hat ein couragierter Staatsanwalt vor ein paar Jahren mehrere CIA-Agenten angeklagt, die einen Imam verschleppt hatten. Die Amerikaner wurden in Abwesenheit zu Haftstrafen verurteilt. Nur ein symbolischer Akt? Nein, das Gericht hat die Ehre des italienischen Rechtsstaats gerettet.

USA würden BND-Spionage im Weißen Haus keine Sekunde dulden

Die US-Behörden müssen begreifen, dass sie sich in Deutschland nicht aufführen dürfen, wie es ihnen beliebt. Das begreifen sie nicht, indem man ihnen immer wieder versichert, wie heilig das deutsch-amerikanische Bündnis ist und wie unverzichtbar die Kooperation der Sicherheitsbehörden. Ja, Deutschland und die USA brauchen einander. Ja, sie müssen zusammenstehen gegen die IS-Terroristen und gegen andere Bedrohungen. Aber die Amerikaner würden es sich keine Sekunde gefallen lassen, wenn der BND das Weiße Haus verwanzt.

Deutschland hätte in der NSA-Affäre von Anfang an offensiver auftreten müssen; es ist groß und mächtig genug, um sich das leisten zu können. Und es war ein Fehler, den Whistleblower Edward Snowden Russland zu überlassen. Deutschland hätte ihm Asyl anbieten und ihn schützen müssen. Wenn es den politischen Willen dafür gegeben hätte, wäre dies möglich gewesen. Vielleicht ist es, wenn Snowden es noch wollen würde, noch immer nicht zu spät. Die US-Spionage ist eine Demütigung für Deutschland, aus der die Bundesregierung Konsequenzen ziehen muss. Geht es um Edward Snowden, gibt es schon lange keinen Grund mehr, auf die USA Rücksicht zu nehmen.

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SZ vom 10.07.2015
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