Süddeutsche Zeitung

NSA-Protokoll:Was die NSA aus einem Merkel-Telefonat machte

  • Im Jahr 2009 hörte der US-Geheimdienst NSA Gespräche von Bundeskanzlerin Angela Merkel mit, in denen es unter anderem um die Konsequenzen aus der Finanzkrise ging.
  • Die Gesprächsprotokolle gehören zur zweiten Tranche von geheimen Dokumenten über Gespräche der Bundeskanzlerin, die die Enthüllungsplattform Wikileaks veröffentlicht hat.

Von Nico Fried, Berlin

Februar 2009: Aus der weltweiten Finanzkrise wird immer mehr eine Wirtschaftskrise. In Deutschland kommt vor allem der Autobauer Opel, der zum amerikanischen General-Motors-Konzern gehört, unter massiven Druck. Es beginnt eine Diskussion über staatliche Hilfen. Kanzlerin Angela Merkel kennt seit einigen Wochen ihren Herausforderer von der SPD für die Bundestagswahl im Herbst. Es ist Außenminister Frank-Walter Steinmeier. Entsprechend zeigt die schwarz-rote Regierung erste Zerfallserscheinungen.

In den USA regiert hingegen seit Januar ein neuer Präsident, der weltweit von großen Hoffnungen begleitet wird, aber inmitten einer schweren Krise ins Amt kam, die in seinem Land ihren Ausgang genommen hatte. Außenpolitisch setzt Barack Obama alsbald erste Akzente: Am 20. März 2009 gratuliert er den Menschen in Iran, den sein Vorgänger George W. Bush noch zu einer Achse des Bösen gezählt hatte, per Videobotschaft im Internet zum persischen Neujahrsfest Nowruz. Er verbindet seine Glückwünsche mit dem Angebot neuer Beziehungen zwischen Iran und den Vereinigten Staaten von Amerika.

Falls der NSA-Bericht Obama erreicht hat, dürfte er zufrieden gewesen sein

Einige Tage später spricht die Bundeskanzlerin darüber mit dem Kronprinzen der Vereinigten Arabischen Emirate, Scheich Muhammad bin Zayidal-Nuhayyan - eine Unterredung, allem Anschein nach am Telefon, die von der NSA abgehört wird. Jedenfalls entsteht eine schriftliche Zusammenfassung des Gesprächs, die nun zu einer zweiten Tranche von Wikileaks veröffentlichter Geheimdokumente über Gespräche von Angela Merkel gehört.

Falls der entsprechende NSA-Bericht vom 26. März 2009 Obama erreicht hat, dürfte er zufrieden gewesen sein: Die Kanzlerin, die dem Kandidaten Obama noch zurückhaltend begegnet war, lobt den neuen Präsidenten für seine Politik gegenüber Iran und kommentiert gegenüber dem Scheich, es gebe nun eine einzigartige Chance, die Beziehungen zu verändern, die man unterstützen solle.

Allerdings hätte es die NSA für den Transport dieser Würdigung nicht unbedingt bedurft. Merkel sagte schon am Tag der Verbreitung des Videos, also sechs Tage vor dem NSA-Bericht, am Rande eines EU-Gipfels in Brüssel öffentlich, die Botschaft Obamas reflektiere das, "was die Europäer immer gewollt haben, dass ein Angebot an den Iran gemacht wird".

Die Konsequenzen aus der Finanzkrise werden Anfang 2009 intensiv diskutiert

Doch es gibt zu jener Zeit andere Themen, bei denen Deutsche und Amerikaner keineswegs beieinander liegen. Hier könnten von der NSA übermittelte Einschätzungen Merkels durchaus von Interesse für die Amerikaner sein. Vor allem die Konsequenzen aus der Finanzkrise werden Anfang 2009 intensiv diskutiert. Am 2. April wollen die G-20-Staaten auf einem Gipfel in London eine Übereinkunft herstellen, wie sich ein Crash der Finanzmärkte wie nach der Lehman-Pleite in Zukunft verhindern lässt. Zugleich ist noch ungeklärt, wie man mit sogenannten toxischen Wertpapieren umgehen will, also Papieren, die wegen ausfallender Kredite wertlos werden oder schon geworden sind. Viele Banken haben davon Anfang 2009 noch Unmengen in ihren Büchern stehen.

Neuer US-Finanzminister ist Timothy Geithner. Am 10. Februar hält er eine erste programmatische Rede. Für die toxischen Papiere schlägt er vor, dass der Staat sie nicht aufkaufen, sondern Anreize für private Investoren schaffen solle. Ende Februar redet Merkel über dasselbe Problem - die NSA hört zu. Aus dem Bericht, den der Geheimdienst am 3. März 2009 verfasst, geht nicht hervor, mit wem sich Merkel unterhält. Es heißt lediglich, die Kanzlerin konzentriere sich in Ausführungen über die Finanzkrise auf das Problem der toxischen Papiere. Wahrscheinlich ist, dass Merkels Äußerungen im Zusammenhang stehen mit einem Treffen von Staats- und Regierungschefs wichtiger EU-Staaten am 22. Februar 2009 in Berlin, das sie zur Vorbereitung einer gemeinsamen Position für den G-20-Gipfel einberufen hatte.

Die Kanzlerin, so heißt es in dem NSA-Bericht, sei nicht gewillt, die Banken bei den toxischen Papieren aus der Verantwortung zu entlassen. Deutschland jedenfalls werde keinen anonymen Mülleimer zur Verfügung stellen, wo man die Papiere einfach entsorgen könne. Die entscheidende Frage sei, so Merkel weiter, wie man den Wert der Papiere berechne und wie die Lastenverteilung zwischen Banken und Staaten aussehen solle. Alle Staaten stünden vor diesem Problem, so die Kanzlerin, wobei die US-Notenbank Federal Reserve ein Risiko auf sich nehme - was Merkel offensichtlich eher tadelnd meint. Die Pläne Geithners überzeugen Merkel nicht. Er hatte die Vorstellung, dass beim Verkauf an private Investoren der Markt über den Preis entscheide. Merkel stellt den Ansatz laut NSA mit der Frage in Zweifel, ob es sich um eine "Versicherungslösung" handele. Was genau sie damit meint, ist unklar.

Lobende Worte ihrer Berater finden nicht nur bei Merkel Gehör

Merkel will außerdem eine Reform des Internationalen Währungsfonds, um Schwellenländern wie China mehr Einfluss zu gewähren - damit aber auch mehr Verantwortung zu geben. Auf dem Gipfel in London scheitert sie damit am 2. April 2009 vor allem an den Amerikanern. Auch über die toxischen Papiere gibt es keine Verständigung. In vielen Ländern, auch in Deutschland, basteln die Regierungen danach unterschiedliche Bad-Bank-Modelle. Die lähmende Wirkung der belasteten Bankbilanzen für die Kreditversorgung der Realwirtschaft bleibt erhalten.

Aus der Finanz- und Wirtschaftskrise entwickelt sich die Euro-Krise, der die Europäer mit einem Stabilisierungsfonds begegnen, dem EFSF. Ein drittes nun veröffentlichtes Dokument von Wikileaks gibt eine Unterredung Merkels mit zwei Beratern am 28. August 2011 wieder. Sie finden, dass die Kanzlerin zufrieden sein könne mit der Umsetzung ihr wichtiger Punkte seit dem EU-Gipfeltreffen im Sommer 2011. Allerdings gingen noch immer Gefahren von den wachsenden Schulden einiger Euro-Länder aus. Eines davon laut NSA-Bericht: Griechenland.

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SZ vom 09.07.2015/pamu
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