Süddeutsche Zeitung

NSA-Protest mit Juli Zeh:Schön, dass ihr da wart

Sie wollen die Warten-wir-es-mal-ab-Haltung der Kanzlerin in Sachen NSA brechen: Autorin Juli Zeh und 20 andere Schriftsteller versammeln sich vor dem Kanzleramt. Sie lesen vor und übergeben Unterschriften. Am Ende können sie sich nur darüber freuen, sich mal wieder getroffen zu haben.

Von Antonie Rietzschel, Berlin

Angela Merkel ist auch da - zumindest symbolisch. Auf einem riesigen Plakat, das wenige Meter entfernt aufgehängt ist, formen die Hände der Kanzlerin die berühmte Raute. Was fehlt sind die Ohren der Kanzlerin, also ihre echten, damit sie hören kann, was etwa 20 deutsche Schriftsteller ihr zu den Spähpraktiken des US-Geheimdienstes NSA zu sagen haben.

Sie stehen vor dem Zaun des Bundeskanzleramtes und lesen laut vom Blatt ab: "Wir fordern Sie auf, den Menschen im Land die volle Wahrheit über die Spähangriffe zu sagen. Und wir wollen wissen, was die Bundesregierung dagegen zu unternehmen gedenkt", rufen die Schriftsteller laut im Chor.

Es sind Zeilen eines offenen Briefes, den die Autorin Juli Zeh vor fast zwei Monaten online stellte. 30 Schriftsteller, darunter lija Trojanow oder Tanja Dückers, stehen als Unterstützer darunter, fast 70.000 Menschen haben ihn unterzeichnet. An diesem Mittwoch soll er samt Unterschriften offiziell übergeben werden.

Hoffnung auf ein Gespräch

Das Medienaufgebot ist riesig. Darauf hat Juli Zeh gesetzt, als sie die Veranstaltung plante. "Als Schriftsteller bekommt man ja eine ganz andere Aufmerksamkeit." Wenn sie schon nicht direkt mit Merkel sprechen können, dann doch wenigstens zu ihr - über die Kameras und Mikrofone. So der Plan.

Außerdem hoffen die Schriftsteller, dass die Medienpräsenz für Druck sorgt, die Kanzlerin dazu zwingt, sich mit dem Brief und der Aufklärung der NSA-Affäre zu beschäftigen.

Zeh hat sich in den vergangenen Jahren mehrfach zur SPD bekannt, 2005 unterzeichnete sie einen Aufruf für Rot-Grün, 2009 war sie für die SPD zur Wahl des Bundespräsidenten entsandt. Doch mit der Gerhard-Schröder-Methode, der der Legende nach einst am Zaun des damals noch in Bonn ansässigen Kanzleramts gerüttelt haben soll, kommen sie und die anderen Schriftsteller hier nicht weiter. Wenige Tage vor der Bundestagswahl scheint es fast unmöglich, die Warten-wir-es-mal-ab-Einstellung der Kanzlerin zu ändern.

Nach der Lesung vorm Zaun des Kanzleramtes zieht die kleine Gruppe zum Seiteneingang des Gebäudes. Vielleicht ergibt sich doch noch eine Gesprächsmöglichkeit. "Wir möchten mit jemandem reden, der sich im Kanzleramt mit der NSA-Affäre beschäftigt", sagt Zeh zu einem Polizisten und grinst. "Ich frag mal nach", antwortet der und verzieht keine Miene. Minuten vergehen, doch niemand kommt. Zeh verlangt schließlich nach Kulturstaatsminister Bernd Neumann. Der müsse sie doch anhören, als "Vertreter ihrer Interessen". Doch Neumann will offensichtlich auch nicht.

So trotten die Schriftsteller weiter zum Bundespresseamt, wo die stellvertretende Regierungssprecherin Sabine Heimbach den Brief offiziell in Empfang nehmen soll. An die Vorgabe der Polizei, für ihren Marsch den Bürgersteig zu benutzen, halten sie sich brav. Sie sehen aus wie einfache Spaziergänger, aber sie sind wütend. So wie der Autor Steffen Kopetzky, der in der oberbayerischen Stadt Pfaffenhofen an der Ilm für die SPD im Stadtrat sitzt. "Die sollen offen sagen, was Sache ist - kann ja sein, dass wir uns eigentlich in einem Ausnahmezustand befinden und diese Maßnahmen nötig sind. Dann sollen sie das aber auch kommunizieren", sagt der 52-Jährige.

Zeh ist enttäuscht über Journalisten

Er sei schockiert darüber, dass das, was bisher eigentlich nur in Science-Fiction Büchern zu lesen war, längst Wirklichkeit sei. Doch warum interessieren sich die Bürger so wenig für die Aktivitäten der NSA? Kopetzky begründet es mit der Furcht der Menschen sich einzugestehen, dass so etwas Unfassbares sein kann. Juli Zeh sagt: "Die Leute wissen gar nicht genau, was das bedeutet, dass es sie was angeht. Sie müssen verstehen, dass dieses Ausspähen eigentlich nichts anderes ist, als wenn einer deiner Nachbarn durch das Fernglas in deine Wohnung schauen würde."

Im Bundespresseamt müssen die Medien, die Zeh als Werkzeug für ihre Sache sieht, draußen bleiben. Als die Schriftsteller zurückkehren, wirken sie enttäuscht. "Die Bundesregierung hat erst seit heute Kenntnis von dem Brief", sagt Juli Zeh in die Kameras. "Das heißt, die werden ihn erst jetzt lesen, obwohl er schon von verschiedenen Medien lanciert wurde." Experten, so die Autorin, würden nun prüfen, ob es überhaupt eine Antwort geben wird auf Fragen wie: "Ist die Bundesregierung dabei, den Rechtsstaat zu umgehen, statt ihn zu verteidigen?"

Enttäuscht ist Zeh auch von den Journalisten. "Warum seid ihr nicht mit reingekommen, warum habt ihr euch das gefallen lassen?" Gleichzeitig freut sie sich darüber, dass das Thema NSA sie alle mal wieder zusammengebracht hat - außerhalb des Literaturbetriebs. Auch Steffen Kopetzky sagt zum Abschluss: "Schön, dass wir uns mal wieder getroffen haben."

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