NSA-Ausschuss:Merkel, Meisterin der aktiven Nicht-Aufklärung

German Chancellor Angela Merkel is heard as a witness during a parliamentary hearing about the NSA

Angela Merkel als Zeugin vor dem NSA-Ausschuss: "Vertrauen in den BND."

(Foto: AFP)
  • Bundeskanzlerin Merkel hat jede Täuschung der Öffentlichkeit in der NSA-Affäre zurückgewiesen.
  • Stundenlang stand sie im NSA-Ausschuss im Bundestag Rede und Antwort.
  • Es zeigt sich: Die Kanzlerin war in der ganzen Affäre überraschend passiv, nie aktiv. Dem BND vertraut sie bis heute.

Von Thorsten Denkler, Berlin

Nach über fünf Stunden im NSA-Ausschuss des Bundestages hat Angela Merkel zwei Fläschchen Wasser getrunken, einen Kaffee, keinen Tee. Vielleicht ist das ein Trick. Wenig trinken, länger durchhalten. Mit Marathonsitzungen kennt sich die Bundeskanzlerin aus. Sie hat schon manchen Regierungschef in nächtelangen Zusammenkünften zermürbt, aus denen sie frisch und fröhlich herausgekommen ist.

Zumindest die Oppositionsvertreter im NSA-Ausschuss wollen diesmal Merkel mürbe machen. Sie soll sich erklären. Ihre Rolle in der weltweiten NSA-Affäre erläutern, die der US-Whistleblower Edward Snowden im Sommer 2013 ausgelöst hat. Wie sie den Satz, dass Abhören unter Freunden gar nicht gehe, sagen kann, wenn doch ihr Bundesnachrichtendienst selbst Freunde aller Art abgehört hat. Was sie konkret getan hat, um die Affäre aus deutscher Sicht aufzuklären. Warum sie bis heute nicht bereit ist, Snowden nach Deutschland zu lassen, um ihn vor dem NSA-Ausschuss aussagen zu lassen.

Viele Fragen an die Kanzlerin. Und - das kann hier vorweggenommen werden - wenig Erkenntnisse. An einer Stelle antwortet sie: "Ich habe nichts gewusst, wissen können, und habe mich nicht beschäftigt, mit dem was dort gemacht werden könnte."

Dieser Satz, in seiner ganzen merkelhaften Umständlichkeit, zeigt doch ganz deutlich, wie Merkel ihre Rolle wahrgenommen hat: nämlich politisch, nicht aufklärerisch. Sie lässt kümmern, kümmert sich aber selbst nicht. Sie lässt sich informieren, informiert sich aber nicht. Sie ist passiv. Nie aktiv. In der ganzen NSA-Affäre nicht.

Es ist ein seltsames Bild, das Merkel hier von sich zeichnet. Sie ist bekannt dafür, dass sie sich in kleinste Details einarbeitet, wenn es ihr wichtig ist. Dass sie Mitarbeiter und Minister damit überraschen kann, mehr von einem Thema zu verstehen, als diese es selbst tun.

Hier aber ist ihre Linie: eine politische Vorgabe zu geben. Und ansonsten alles dem jeweiligen Chef des Bundeskanzleramtes und den Mitarbeitern zu überlassen. Denen hat sie vertraut. Denen vertraut sie noch heute.

Zentral ist dieser eine Satz, den Merkel ab Juli 2013 immer wieder in abgewandelter Form öffentlich gesagt hat: "Ausspähen unter Freunden, das geht gar nicht."

Heute ist klar: Das ging doch, sehr gut sogar. Der BND hat befreundete Botschaften abgehört, Parlamente, die Außenminister wichtiger Partner wie den USA oder Großbritannien. Also im Grunde alles und jeden, mit dem die Bundesregierung irgendwie Freundschaften pflegt.

Und Merkel?

Sie habe das alles erst im März 2015 zur Kenntnis bekommen, sagt sie. Damals ist ihr Kanzleramtschef Peter Altmaier mit Gefolge beim BND in Pullach angerückt, um die Mitarbeiter zur Rede zu stellen. Sein Geheimdienstkoordinator Klaus-Dieter Fritsche hatte ihn kurz zuvor informiert, dass auf den Analyserechnern des BND Suchbegriffe, sogenannte Selektoren, des US-Geheimdienstes NSA eingesetzt werden. Und dass diese auf Freunde zielten. Wochen später stellte sich heraus, dass der BND nicht nur Opfer, sondern auch Täter ist. Er selbst hat Freunde im Stil der NSA belauscht.

Es gibt viele Indizien, die zeigen, dass das Bundeskanzleramt in der Amtszeit von Merkel und spätestens ab 2008 auf solche Vorgänge hingewiesen worden ist. Merkel will davon aber nie etwas mitbekommen haben. Sie will auch nicht mitbekommen haben, dass ab Sommer 2013 im Bundesnachrichtendienst die Hütte brannte. Dass es dort zu spontanen Löschaktionen kam. Dass dort brisante Listen mit Tausenden problematischen Selektoren aufgetaucht waren. Nichts davon habe sie bis März 2015 erreicht. So sagt sie es im NSA-Ausschuss.

Nur: Wie konnte sie sich im Sommer 2013 sicher sein, dass der BND keine Freunde abhört? Sonst hätte sie den Satz, Freunde abhören geht gar nicht, wohl kaum so gesagt.

Die Kanzlerin hat sich auf ihre Mitarbeiter verlassen

SPD-Mann Christian Flisek fragt sie: "Sind Sie davon ausgegangen, dass der BND das nicht macht?" Merkel: "Davon bin ich ausgegangen, ja." Und zwar Anfang Juni, Mitte Juli, und auch als sie den Satz am 24. Oktober 2013 noch einmal wiederholte. Kurz davor war bekannt geworden, dass die NSA womöglich ihr Handy abgehört hatte. Zu keinem Zeitpunkt habe sie "Anlass gehabt anzunehmen, dass der Satz bei uns nicht eingehalten wird".

Der Grüne Konstantin von Notz gesteht: "Ich habe Sie diesen Satz sagen hören und irgendwie fühlte sich das gut an. Moralisch waren wir auf der sicheren Seite. Wir machen das nicht, was die NSA macht."

Merkel: "Ja, das habe ich auch gedacht."

Notz: "Genau. Aber das war halt falsch."

Merkel schweigt.

Positiv könnte gesehen werden, dass sie sich einfach auf ihre Mitarbeiter verlassen hat. Aber sie hat sich eben auch nicht gekümmert. Sie hat keine regelmäßigen Berichte angefordert, nicht weiter nachgefragt, Merkel wurde nur dann einbezogen, wenn der Chef des Bundeskanzleramts es aus eigener Sicht für nötig erachtet hat. Auch die für die Geheimdienstkontrolle zuständige Abteilung 6 im Bundeskanzleramt ist nicht losgezogen, hat nicht im BND nachgeforscht.

"Gravierendes Organversagen"

Bisher hat die Bundesregierung Schwierigkeiten nur im BND erkannt. Aber sei das nicht auch ein "gravierendes Organversagen im Bundeskanzleramt?", will die Linken-Abgeordnete Martina Renner wissen. Merkel lässt den Vorwurf abprallen. "Sie bilden sich jetzt über die Sachverhalte Ihre Meinung. Ich teile die so nicht."

Es sei eben außerhalb ihrer Vorstellung gewesen, dass der BND Freunde abhöre. Damit war sie allerdings außerhalb der Bundesregierung ziemlich alleine. Als Ihr Regierungssprecher Steffen Seibert schon Anfang Juli 2013 in einer Pressekonferenz den Satz, Freunde abhören gehe gar nicht, sagte, stellten reihenweise Journalisten die Nachfrage, ob es denn sicher sei, dass der BND da sauber sei. Seibert hatte darauf keine belastbare Antwort. Und niemand in der Bundesregierung sah sich danach veranlasst, die Frage mal zu klären.

Merkel verteidigt den Satz heute dennoch: "Alles was Sie herausgefunden haben, macht den Satz ja nicht falsch", sagt sie an die Ausschussmitglieder gerichtet. Der Satz bleibe politisch richtig, er sei Maßstab ihres Handelns bis heute. Freunde jedenfalls würden heute nicht länger vom BND abgehört. Es sei jetzt alles getan worden, dass so etwas nicht mehr vorkomme. Da vertraue sie dem BND und auch ihren Mitarbeitern im Kanzleramt.

"Vertrauen in den BND?", fragt Renner ungläubig nach.

Merkel: "Wenn ich kein Vertrauen in den BND hätte, könnte ich heute nicht mehr Bundeskanzlerin sein."

Wohl wahr. Aber nach drei Jahren NSA-Ausschuss wirkt das dann doch einigermaßen naiv.

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