Süddeutsche Zeitung

NSA-Affäre:Was Sie über Selektoren und Vertrauensmänner wissen müssen

Spione, Suchbegriffe und ein Untersuchungsausschuss - die neuesten Enthüllungen im NSA-Abhörskandal können schnell verwirren. Wir schaffen die nötige Klarheit.

Von Thorsten Denkler, Berlin

Die NSA hat ja offenbar die ganze Bundesregierung abgehört. Aber irgendwie scheint die das nicht zu stören. Warum reagieren die so cool?

Egal welcher Minister oder welche Ministerin gefragt wird, alle reagieren irgendwie mit Achselzucken und ein wenig amüsiert. Natürlich war immer klar: Kaum einer glaubt, nicht von ausländischen Nachrichtendiensten abgehört zu werden. Dass es nun der Dienst eines befreundeten Landes ist, sei's drum.

Hinter der Coolness könnte sich aber auch Kalkül verbergen. Zu den Grundregeln des Geschäftes mit dem Geheimen gehört: Lass dich nicht erwischen. Und: Wenn du abgehört wurdest, erzähl bloß keinem, wie brisant der Vorgang ist. Am besten ist: Alle glauben, es sei nur halb so schlimm. Nur die NSA weiß im aktuellen Fall, ob das stimmt.

Diese Selektoren, was machen die eigentlich?

Selektoren sind nichts anderes als Suchbegriffe, mit denen Datenbanken durchforstet werden. Das können E-Mail-Adressen sein, Telefonnummern oder IP-Adressen von Computern. Also Merkmale, die auf eine bestimmte Person oder Institution hinweisen. Wenn zum Beispiel auf einer Datenleitung die gesamte Telefonkommunikation abgefischt wird, dann hilft der Selektor, nur die Gespräche herauszufiltern, die vom Vorzimmer der Kanzlerin Angela Merkel aus geführt werden.

So viele Listen mit Suchbegriffen. Welche gehört denn jetzt wozu?

Keiner weiß wohl wirklich, wie viele Selektoren-Listen es tatsächlich gibt. Bekannt ist, dass es eine Liste mit etwa 40.000 faulen Selektoren gibt, die die NSA auf Analyserechnern des Bundesnachrichtendienstes eingesetzt hat. Faul sind sie, weil sie vereinbarte Regeln brechen und gegen deutsche Interessen gerichtet sind. Spätestens seit März 2015 liegt diese Liste in ausgedruckter Form vor. Es soll zwei Exemplare geben. Eines liegt im BND. Ein anderes im Panzerschrank von Geheimdienst-Staatssekretär Klaus-Dieter Fritsche im Bundeskanzleramt.

Dann gibt es die jüngsten Wikileaks-Enthüllungen. Auch da geht es um Listen mit Selektoren. Ein erstes Paket weist nach, wie fast die komplette französische Regierung abgehört wurde. Jetzt ist eine zweite Selektoren-Liste online, die zeigt, dass wohl auch ein Großteil der Bundesregierung von der NSA ausgespäht wurde.

Was haben die verschiedenen Selektoren-Listen gemeinsam?

Erst mal nur, dass in ihnen Selektoren der NSA dokumentiert sind. Ein wichtige Frage ist, ob die von Wikileaks veröffentlichten Selektoren oder einige davon sich auch auf der Liste mit den 40.000 faulen Selektoren befindet, die jetzt im Bundeskanzleramt im Panzerschrank liegt. Sollte dem so sein, dann hat der BND - wissentlich oder nicht - der NSA womöglich geholfen, die französische Regierung und/oder die eigene Bundesregierung auszuspähen.

Bisher geht der BND davon aus, dass er jenseits der deutschen Grenzen alles und jeden ausspionieren darf, solange es in die Auftragsbeschreibung der Bunderegierung passt. Dieses Auftragsprofil aber kennen nur wenige Menschen. Es ist streng geheim. Die französische Regierung könnte also unter Umständen durchaus ein Aufklärungsziel des BND sein. Auf keinen Fall aber darf der BND als Auslandsgeheimdienst Deutsche im Inland abhören. Das wäre ein klarer Bruch des Gesetzes.

Die Selektoren-Liste im Bundeskanzleramt soll jetzt von einem Vertrauensmann untersucht werden. Was hat es denn mit dem auf sich?

Spätestens im März wurde klar: Die NSA hat auf Analyserechnern des Bundesnachrichtendienstes Suchbegriffe aufgespielt, die gegen deutsche Interessen verstoßen. Aber was ist damit gemeint: gegen deutsche Interessen verstoßen? Hat die NSA mit unfreiwilliger Hilfe des BND womöglich auch Deutsche und deutsche Unternehmen auspioniert? Und wenn ja, welche? Und in welchem Ausmaß? Alles offene Fragen, die, geht es nach der Bundesregierung, auch niemals öffentlich beantwortet werden.

Natürlich wollen die Abgeordneten im NSA-Untersuchungsausschuss des Bundestages die Liste sehen und analysieren. Das gehört zu ihrem Job. Weil aber die Bundesregierung Angst hat, dass konkrete Inhalte der Liste dann öffentlich werden, hat sie nach langem Hin und Her entschieden: Die Mitglieder im NSA-Ausschuss kriegen gar nichts zu sehen. Lediglich ein Vertrauensmann soll die Listen einsehen dürfen, um dann dem Ausschuss - in allgemeiner Form - darüber Bericht zu erstatten. Friss oder stirb, hieß das für die Abgeordneten. Die Mehrheit hat sich dem gebeugt. Die Opposition klagt gegen das Verfahren.

Wird der Vertrauensmann für Aufklärung sorgen?

Das hängt von verschiedenen Faktoren ab. Vermutlich wird der Vetrauensmann die Listen im Kanzleramt einsehen und sie auf Unregelmäßigkeiten hin überprüfen. Was er am Ende im NSA-Ausschuss sagen darf, das wird dann in einer sogenannten Aussagegenehmigung der Bundesregierung geregelt. Aussagebeschränkung wäre allerdings der passendere Begriff. Sie dürfte in diesem Fall sehr streng ausfallen. Die Bundesregierung will in jedem Fall vermeiden, dass die US-Seite bloßgestellt wird. Und dass Rückschlüsse auf die Methoden der NSA möglich werden.

Die Ausschussmitglieder haben das Problem, dass sie dem Vertrauensmann vertrauen müssen. Sie werden nämlich nicht überprüfen können, was er sagt. Letztlich ist er vor allem ein Vertrauensmann der Bundesregierung. Sie ernennt und bezahlt ihn. Der ehemalige Richter Kurt Graulich, der den Posten bekommen soll, hat in einem Interview schon klargemacht, dass seine Loyalität natürlich seinem Auftraggeber gehört. Und das ist die Bundesregierung.

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