Die G-10-Kommission des Bundestages hat entschieden, vor dem Bundesverfassungsgericht zu klagen, um Einsicht in die Bad Aiblinger Selektorenliste des US-Geheimdienstes NSA zu erzwingen. Den Entwurf der Klage hat nach Recherchen von Süddeutscher Zeitung, NDR und WDR der frühere Parlamentarische Staatssekretär im Bundesjustizministerium, Hans de With, bereits formuliert. Die Klage soll in den nächsten Tagen nach Karlsruhe geschickt werden.
Der 83-jährige Sozialdemokrat ist so etwas wie eine Legende der Kommission, die bei geplanten geheimdienstlichen Eingriffen in Grundrechte an die Stelle von Gerichten tritt, um Recht und Gesetz zu garantieren. De With gehörte der G-10-Kommission 15 Jahre an und war zeitweise auch der Vorsitzende des Kontrollgremiums. Er schied Anfang 2014 aus dem Amt.
Das Verhältnis zwischen Regierung, Geheimdiensten und Kommission ist gestört
Der Weg nach Karlsruhe ist ungewöhnlich. Die G-10-Kommission, die als eigenständiges Organ des Bundestages über die Zulässigkeit von Abhöraktionen deutscher Geheimdienste wacht, hatte zunächst klären lassen, ob sie überhaupt klageberechtigt sei. Einen solchen Fall hat es in ihrer langen Geschichte noch nicht gegeben.
Die Klage macht klar, dass das einst gute Verhältnis zwischen Regierung, Geheimdiensten und Kommission schwer gestört ist. "Die haben uns hinter die Fichte geführt, das Vertrauen ist erschüttert", sagt Frank Hofmann, der früher beim Bundeskriminalamt arbeitete, dann knapp zwei Jahrzehnte für die SPD als Abgeordneter im Bundestag saß und seit Jahren Mitglied der G-10-Kommission ist.
Die Operation "Eikonal" des Bundesnachrichtendienstes (BND) bringt selbst Ex-Politiker wie de With, der früher schon sehr vorsichtig in seinen Bewertungen war, zu der Vermutung, sie seien von der Bundesregierung hintergangen worden. "Das geht nicht. Peng", sagte de With vor einigen Monaten als Zeuge im NSA-Untersuchungsausschuss. Wenn das mit Eikonal wirklich so gewesen sei, wie das in der Zeitung stand (und wie die SZ berichtete), so de With, "würde ich sagen: Das war eine Täuschung."
Man sei "offenkundig reingelegt" worden, zürnt ein Mitglied des Gremiums
Die Geschichte der Täuschung ging so: Nachdem im Sommer 2013 der Verdacht aufgekommen war, dass die NSA in Frankfurt Daten abzapfe, hatte die Bundesregierung den Kontrolleuren mitgeteilt, dort spioniere nur der BND und das ganz legal. Erst später musste die Regierung einräumen, dass der BND jahrelang die Daten mit der NSA geteilt hatte. Die Mitglieder der G-10-Kommission klagten, sie seien über den wahren Zweck der Überwachungsmaßnahmen nicht ausreichend informiert worden. Die Kommission hatte den Zugriff auf die Kabel genehmigt, aber nichts von der Kooperation mit der NSA erfahren.
Die zuständige BND-Abteilung hatte gewarnt, wenn die Sache auffliege, könne das Konsequenzen haben: nämlich eine "parlamentarische Befassung mit unabsehbaren Folgen" für die Fernmeldeaufklärung des BND. "Weil wir offenkundig reingelegt wurden", so ein Mitglied des Kontrollgremiums, sei jetzt ein eigener Blick in die Selektorenliste der NSA "zwingend notwendig". Weil das Kanzleramt in der Angelegenheit nur einem Sonderbeauftragten Einblick in die Unterlagen erlaubt habe, müsse jetzt Karlsruhe helfen.