NSA-Affäre:Kleiner Bruder

Half der BND den Amerikanern beim Spionieren? "Befreundete" Geheimdienste sind verärgert.

Von H. Leyendecker und G. Mascolo

Vor knapp drei Monaten bezog der frühere Bundesverwaltungsrichter Kurt Graulich im Neubau des Bundesnachrichtendienstes (BND) einige Zimmer. Der 66-Jährige soll als Sonderermittler im Auftrag der Bundesregierung herausfinden, in welchem Umfang der deutsche Auslandsnachrichtendienst der amerikanischen NSA half, europäische Politiker, Spitzenbeamte und Wirtschaftsleute auszuspionieren, und ob diese spezielle Zusammenarbeit gesetzeswidrig war oder nicht.

BND-Präsident Gerhard Schindler hat Graulich einige Mitarbeiter zur Seite gestellt; oft geht die Arbeit bis spät in den Abend. Dennoch hat der ehemalige Richter um Aufschub gebeten. Erst im November will er dem Kanzleramt und dann auch, weniger ausführlich, dem Parlament berichten, was er herausgefunden hat. Dem Bundestag, darauf beharrt das Kanzleramt, soll er längst nicht alles sagen dürfen: Ein grober Überblick soll reichen.

Grüne und Linke sind mit dieser Art Aufklärung nicht einverstanden. Sie haben Klage vor dem Bundesverfassungsgericht eingereicht. Die konkreten Ziele der knapp 40 000 Selektoren - Suchbegriffe wie E-Mail-Adressen und Telefonnummern - wollen sie selbst prüfen. Es soll in der Liste nicht, wie manchmal behauptet wird, um terroristische Netzwerke oder Lieferungen im Zusammenhang mit Massenvernichtungswaffen gehen. Es handelt sich wohl eher um ein Register der politischen Spionage in Europa. Und der BND half mit.

Im Kanzleramt heißt es immer noch, die Geheimhaltung habe weiter Priorität. Man dürfe den wichtigen Partner USA nicht brüskieren.

Und jetzt ist da die zweite Liste. Die eigne Liste des BND. Die deutsche Liste. Es wird vermutlich noch ein bisschen dauern, bis klar ist, wen der deutsche Auslandsgeheimdienst selbst in Europa abgehört hat. Diese Liste, das steht fest, soll bei Weitem nicht so umfangreich wie das NSA-Verzeichnis sein. Vermutlich geht es auch um den Dschihad in Europa: Welcher Franzose ist für al-Qaida oder den IS in den Krieg gezogen und was weiß man über seine Verbindungen nach Deutschland? Aber es wird auch anderes Material über die Ausspähung des BND in Europa geben. Gut möglich, dass am Ende ein kleiner Bruder des großen Bruders sichtbar wird. Die Frage ist auch, welche Schlüsse die Partnerdienste des BND aus alledem ziehen werden. Nach dem Bekanntwerden der speziellen BND-Kooperation mit der NSA hatten deutsche Nachrichtendienstler erklärt, das eigentliche Problem sei nicht die Zusammenarbeit, sondern dass über so etwas öffentlich gesprochen werde. Die ausländischen Dienste hätten kein Vertrauen mehr, dass die Deutschen ihre Quellen ordentlich schützen würden. Und hochrangige Mitarbeiter des BND klagten, sie würden nicht mehr zu Treffen eingeladen, zu denen sie früher immer eingeladen worden seien. Geheimdienstlatein? Andere Nachrichtendienstler behaupten, die Nachrichtendienste kleiner Staaten wie Niederlande oder Luxemburg seien wirklich verärgert, dass die Deutschen den Amerikanern beim Spionieren geholfen hätten. Die Kleinen haben einen eigenen Blick auf die Welt. Sie interessiert vor allem, wer in ihrem Land unterwegs ist. Wer macht was warum? Die NSA hatte mit Hilfe des BND das für Kernkraft zuständige Pariser Ministerium über Jahre ausgespäht. Bis hinunter zu den Referenten. Wenn das die Deutschen ohne NSA auch gemacht haben sollten, wäre das wahrscheinlich ein echtes Politikum.

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