NSA-Affäre:"Katzbuckelei vor der US-Administration beenden"

Die neuen Enthüllungen in der Späh-Affäre wühlen den NSA-Untersuchungsausschuss auf. Oskar Lafontaine kann sich nur wundern, Sigmar Gabriel flüchtet sich in Ironie - und die Kritik an Angela Merkel wird lauter.

Von Thorsten Denkler, Berlin

Die Enthüllungen, wonach der US-Geheimdienst NSA über Jahre auch deutsche Minister und Spitzenbeamte abgehört haben soll, löst in Berlin Aufregung aus - und wirkt sich auf die Arbeit des NSA-Untersuchungsausschusses im Bundestag aus. Die übliche nicht-öffentliche Sitzung am Donnerstag dauert gut zwei Stunden länger als erwartet. Noch für den Nachmittag wird der Geheimdienstkoordinator im Kanzleramt, Klaus-Dieter Fritsche, in den Ausschuss zitiert. Als erster Zeuge tritt mittags Günther Heiß auf. Chef der Abteilung sechs im Kanzleramt. Dort ist die Dienst- und Fachaufsicht über den Bundesnachrichtendienst gebündelt.

Die neuen Entwicklungen bringen Heiß in Erklärungsnot. Christian Flisek, der Obmann der SPD im Ausschuss hakt nach, ob Heiß in seiner Dienstzeit vom Jahr 2009 an je Hinweise auf politische Spionage etwa der NSA zu Gesicht bekommen habe. Heiß will sich an so etwas nicht erinnern können. Wie er sich überhaupt an wenig erinnern kann. 2010 landet eine Mappe auf seinem Tisch, in der erstmals Begriffe wie EADS und Eurocopter auftauchen - Suchbegriffe, die die NSA offenbar regelwidrig auf Analyse-Rechnern des BND einsetzte. Heiß weiß das nur noch aus der Aktenlage. Ob er die Mappe selbst gesehen hat, was er dann gemacht hat - er weiß es nicht. Zur Aufklärung scheint Heiß an diesem Nachmittag nicht viel beitragen zu können - oder zu wollen. Obleute aus dem Ausschuss sehen jetzt ohnehin die Kanzlerin in der Pflicht. Christian Flisek sagt: Wenn Merkels Satz "Ausspähen unter Freunden, das geht gar nicht" ernst gemeint war - dann sei "spätestens jetzt der Zeitpunkt da, wo sie einen sehr intensiven politischen Dialog mit unseren amerikanischen Freunden suchen muss". Die Linke Martina Renner fordert, die "Katzbuckelei vor der US-Administration zu beenden". Ihr Grünen-Kollege Konstantin von Notz hält es für "naiv" anzunehmen, dass die Regierung erst jetzt von den neuen Tatsachen erfahren habe. Zu den Abgehörten zählt auch der ehemalige Bundesfinanzminister Oskar Lafontaine, damals in der SPD. Er kann die Abhöraktionen nicht nachvollziehen. "Ich habe ihnen doch bei jeder Konferenz erzählt, dass ich die Finanzmärkte regulieren wollte und das Bankensystem für marode hielt", sagt er. Am Abend schließlich tritt Ronald Pofalla (CDU) als Zeuge auf. Der frühere Kanzleramtsminister verurteilt in seiner Vernehmung die Veröffentlichungen geheimer Dokumente scharf. Nach seiner Erfahrung sei fast alles, was er im parlamentarischen Kontrollgremium vorgetragen habe, Minuten danach öffentlich geworden. "Ich rate allen handelnden Personen, das zu ändern", sagt er, ohne direkt Bezug auf die neuen Wikileaks-Veröffentlichungen zu nehmen. Es schade "unserer Sicherheit und der Sicherheit unserer Soldatinnen und Soldaten". Er appelliert auch an die Medien, verantwortungsvoll mit geheimen Dokumenten umzugehen. Pofalla fürchtet, dass sich befreundete Geheimdienste immer weiter aus der Zusammenarbeit mit dem BND zurückziehen könnten. Zuletzt hatte Pofalla im Sommer 2013 Aufsehen erregt, als er Teile der NSA-Affäre für "beendet" erklärte. Kurz darauf wurde bekannt, dass Angela Merkels Handy abgehört worden war. Immer wieder kündigte Pofalla ein "No-Spy-Abkommen" mit den USA an. Das kam nie zustande - auch weil die US-Seite es offenbar nie wollte. Die Liste mit etwa 40 000 Suchbegriffen, die die NSA regelwidrig auf BND-Rechnern eingesetzt hat, soll nun von einem Vertrauensmann der Regierung geprüft werden. Die Ausschussmehrheit von Union und SPD nominierte dafür am Donnerstag den früheren Bundesverwaltungsrichter Kurt Graulich.

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