NSA-Affäre:Europaparlament befragt Edward Snowden

NSA-Affäre: Edward Snowden auf einem Bild vom Oktober 2013, als er in Moskau mit ehemaligen Geheimdienstmitarbeitern und Aktivisten zusammentraf

Edward Snowden auf einem Bild vom Oktober 2013, als er in Moskau mit ehemaligen Geheimdienstmitarbeitern und Aktivisten zusammentraf

(Foto: AFP)

Antworten per Videobotschaft zur NSA-Spähaffäre - das wünschen sich die Abgeordneten des Europaparlaments von Edward Snowden. Gegen den Widerstand der britischen Tories entscheiden sie, dem Whistleblower einen Fragenkatalog nach Moskau zu schicken. Die Konservativen aus Großbritannien fürchten, dass er weitere Details über ihren Geheimdienst GCHQ preisgeben könnte.

Von Martin Anetzberger, John Goetz und Frederik Obermaier

Vor einigen Wochen hat Jan Philipp Albrecht eine Liste geschrieben. Es war eine lange Liste. Mehr als 30 Namen stehen darauf. Es sind die Namen jener Zeugen, die der Grünen-Europaabgeordnete gerne im Innenausschuss des EU-Parlaments anhören würde: die Chefs der europäischen Geheimdienste, dazu den Snowden-Vertrauten Glenn Greenwald, Experten des Chaos-Computer-Clubs und diverse Whistleblower. Auf der Liste steht freilich auch die Hauptperson der NSA-Affäre: Edward Snowden.

Es ist Jan Philipp Albrechts ernstgemeinter Versuch, jene Affäre aufzuklären, der die Bundesregierung bislang mit Beschwichtigungen, Verharmlosungen und dem Verweis auf mangelnde Erkenntnisse begegnet.

Jetzt ist er dabei einen entscheidenden Schritt weitergekommen. Alle Fraktionen mit Ausnahme der ECR-Fraktion der britischen Tories sprachen sich am Donnerstag für eine Befragung des Whistleblowers aus.

Was sich unkompliziert anhört, ist in der Praxis ein schwieriges Unterfangen: Snowden kann derzeit nicht aus Russland ausreisen. Eine klassische Videokonferenz birgt die Gefahr, dass der amerikanische Geheimdienst seinen genauen Aufenthaltsort lokalisiert - sofern dieser den US-Diensten nicht ohnehin längst bekannt ist.

Fragenkatalog für Snowden

Das EU-Parlament will Snowden daher einen Fragenkatalog schicken. Der 30-Jährige soll die Antworten dann auf Video aufnehmen und zurückschicken. Albrecht kündigte in einer Pressemitteilung an, die Fragen sollten nun so bald wie möglich verschickt werden. Mit einer Antwort Snowdens, der seine generelle Bereitschaft signalisiert hatte, sei im Januar zu rechnen.

Ursprünglich hätte das Parlament bereits am Mittwoch entscheiden sollen, doch die Fraktionen konnten sich nicht einigen. Neben den Tories meldeten Abgeordnete der konservativen europäischen Volksparteien (EVP), zu denen auch CDU und CSU gehören, Bedenken an. "Dieses Vorgehen ist für einen Untersuchungsausschuss völlig ungeeignet, da es keine Nachfragemöglichkeit gibt", sagte die CDU-Abgeordnete Renate Sommer zu Süddeutsche.de. Ähnlich äußerte sich ihr Parteikollege Axel Voss.

Deswegen wurde die Entscheidung an die Fraktionsvorsitzenden delegiert, die dem Vorhaben an diesem Donnerstag grundsätzlich zustimmten. Parlamentspräsident Martin Schulz (SPD) verwies den Streitfall allerdings an den Ausschuss zurück - mit der Aufforderung, eine für alle Seiten akzeptable Lösung zu finden. "Wir werden Snowden erneut kontaktieren, und fragen, ob er doch zu einer direkten Videokonferenz bereit ist", so Albrecht.

Vor der Entscheidung der Fraktionschefs hatten vor allem die britischen Tories versucht, eine Befragung Snowdens zu verhindern. Ein Abgeordneter hatte für die Liste des Grünen-Politikers Albrecht nur Witzchen übrig: Spione hätten sicherlich etwas besseres vor, als an Parlamentssitzungen teilzunehmen, höhnte der Tory-Abgeordnete Timothy Kirkhope. Außerdem scherzte er: Man hätte auch Markus Wolf einladen können, den früheren Leiter der DDR-Auslandsspionage. Wolf ist seit 2006 tot. Die Liste der Reaktionen auf die Ausspähaffäre wurde damit um eine Facette reicher: Zum Wegschauen, Wegducken, Lavieren und Manövrieren kam der Spott - und der Druck.

"Krimineller" und "Verräter"

Denn der britische Konservative Kirkhope machte sich nicht nur lustig, er schrieb auch einen Brief an EU-Parlamentspräsident Martin Schulz. Snowden einzuladen, so war darin zu lesen, würde die "öffentliche Sicherheit in Europa" gefährden. Snowden habe Millionen Menschen in Gefahr gebracht, heißt es weiter in dem Dokument, das die Süddeutsche Zeitung einsehen konnte. Der Whistleblower sei ein "mutmaßlicher Krimineller" und "in den Augen vieler ein Verräter", der durch "absolute Sorglosigkeit und Gedankenlosigkeit" das "Leben von Millionen Menschen aufs Spiel gesetzt hat".

Es war die Rhetorik der Amerikaner aus dem Mund eines Briten: Snowden, der kleine Verräter aus Hawaii, der mit seinen Enthüllungen Terroristen in die Hände spiele.

Dem britischen EU-Parlamentarier Kirkhope dürfte die Entscheidung nun besonders aufstoßen, denn der britische Geheimdienst GCHQ ist der engste Verbündete der NSA. Snowden sprach sogar einmal davon, dass die Spione Ihrer Majestät viel schlimmer seien als ihre amerikanischen Freunde.

So hat GCHQ nach Informationen der Süddeutschen Zeitung mehrere Unterseekabel angezapft, über die große Teile der deutschen Internetkommunikation gehen. Mehrere Unternehmen wurden zu - mutmaßlich unfreiwilligen - Helfern der Spione Ihrer Majestät. Einige Firmen, so legen es interne GCHQ-Dokumente nahe, entwickelten eigens eine Software zum Ausspähen. Darüber und womöglich viel mehr könnte Snowden dem EU-Parlament berichten.

Jetzt können Kirkhope und die anderen ECR-Abgeordneten nur hoffen, dass Snowden doch keine Videoantworten zurückschickt oder nicht alles sagt, was er weiß. Jan Philipp Albrecht würde das wohl bedauern. Immerhin erklärte er: "Klar ist, dass das Europäische Parlament keinen Einfluss darauf nehmen kann, in wieweit und in welchem Umfang Edward Snowden die Fragen tatsächlich beantworten wird."

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