Süddeutsche Zeitung

NSA-Abhörskandal:"Abhören von Freunden, das geht gar nicht"

Scharfe Kritik an den USA: Die Bundesregierung sendet in der Späh-Affäre deutliche Worte an den Partner in Washington. Freunde abzuhören, sei inakzeptabel. "Wir sind nicht mehr im Kalten Krieg." Doch auch der Druck auf die deutsche Regierung selbst wächst: Grünen-Fraktionschef Trittin drängt darauf, Whistleblower Snowden in Deutschland Asyl zu gewähren.

In Deutschland wächst der Ärger über die Ausspähungen amerikanischer Dienste in Deutschland und der EU. Die Bundesregierung kritisierte die USA scharf: "Wenn sich bestätigt, dass tatsächlich diplomatische Vertretungen der Europäischen Union und einzelner europäischer Länder ausgespäht worden sind, dann müssen wir ganz klar sagen: Abhören von Freunden, das ist inakzeptabel, das geht gar nicht", sagte Regierungssprecher Steffen Seibert in Berlin. "Wir sind nicht mehr im Kalten Krieg."

Seibert forderte eine vollständige Aufklärung "und gegebenenfalls eine einstimmige und auch eine sehr deutliche europäische Reaktion". Das Befremden Deutschlands sei dem Weißen Haus übermittelt worden.

Grünen-Fraktionschef Jürgen Trittin forderte einen sicheren Aufenthaltsort für den Enthüller der Abhörpraktiken des US-Geheimdienstes NSA, Edward Snowden. Snowden sollte in Europa und damit unter Umständen auch in Deutschland eine "sichere Unterkunft haben, denn er hat Europa einen Dienst erwiesen", sagte Trittin im ARD-"Morgenmagazin".

Der 30-Jährige habe einen massiven Angriff auf Bürger und Unternehmen in Europa offenbart. Es sei für die Demokratien eigentlich peinlich, "dass so jemand, der sich um die Demokratie ja verdient gemacht hat, der nach unserem Verständnis einen massiven Grundrechtsverstoß aufgedeckt hat, bei Despoten Unterschlupf finden muss, die selber mit den Grundrechten auf Kriegsfuß stehen", sagte Trittin. "Ich bin der Auffassung, so jemand wird geschützt. Das sagen wir sonst auch."

Zuvor hatte bereits die Linke verlangt, Snowden Asyl zu gewähren. Die Bundesregierung hatte Anfang vergangener Woche erklärt, die Frage "stelle sich derzeit nicht". Damals war bekannt geworden, dass Snowden in Ecuador Asyl beantragt hatte. Der NSA-Enthüller Snowden hält sich allerdings offenbar noch immer auf dem internationalen Flughafen in Moskau auf. In den USA soll dem bisherigen Geheimdienstmitarbeiter, der umfangreiche Bespitzelungen amerikanischer und britischer Geheimdienste enthüllte, wegen Geheimnisverrats der Prozess gemacht werden.

Zugleich sprach sich Trittin dafür aus, die existierenden Abkommen mit den USA über den Austausch von Bankdaten sowie von Fluggastdaten seitens der Europäischen Union aufzukündigen. Auch über Freihandel werde man nur sprechen können, wenn klar sei, dass die Regeln eingehalten würden. So müsse das Betriebsgeheimnis gewahrt werden und dürfe nicht ausspioniert werden. "Die Amerikaner führen sich genauso auf, wie sie es den Chinesen vorwerfen", sagte Trittin.

Zuvor hatte auch Trittins Parteifreundin Katrin Göring-Eckardt die Freihandels-Verhandlungen in Frage gestellt. Ein Zustandekommen des Freihandelsabkommens könne sie sich "unter diesen Bedingungen nicht vorstellen". Nicht nur die beiden Grünen-Spitzenkandidaten für die Bundestagswahl fordern einen Stopp der Verhandlungen mit Washington. Auch der SPD-Netzpolitiker Lars Klingbeil hat "grundsätzlich Sympathien" für die Forderung. Es sei allen geholfen "erst einmal die Vorwürfe aufzuklären, bevor man weiterverhandelt", sagte der Bundestagsabgeordnete zu Süddeutsche.de.

EU-Kommissarin Viviane Reding drohte ebenfalls damit, die Gespräche ruhen zu lassen, sollten die Berichte zutreffen. "Partner spionieren einander nicht aus", sagte sie am Sonntag in Luxemburg.

CDU-Landesminister fordert Merkel zum Handeln auf

Der Ärger über die Spähangriffe wächst auch in den Reihen von CDU und CSU. Es sei ein "Alarmsignal", dass offenbar auch EU-Institutionen vom US-Geheimdienst NSA abgehört werden, sagte der Vorsitzende der CSU-Mittelstands-Union, Hans Michelbach. Dies lege den Verdacht der Wirtschaftsspionage nahe. "Der NSA kann es dabei nicht um Terrorabwehr gehen: Die EU ist kein Unterstützer von Terroristen, wohl aber ein starker Konkurrent auf dem Weltmarkt", sagte Michelbach.

Es müsse daher befürchtet werden, dass die NSA und andere US-Nachrichtendienste nicht nur europäische Institutionen, sondern auch europäische und insbesondere deutsche Unternehmen gezielt ausspionierten, um den USA "unlautere Vorteile" zu verschaffen.

Hessens Innenminister Boris Rhein (CDU) forderte von Briten und Amerikanern Klarstellungen: Washington und London "müssen schleunigst über Hintergründe und Ausmaß ihrer Angriffe gegen Deutschland aufklären". Er verlangte von der von seiner Parteifreundin Angela Merkel geführten Regierung eine klare Haltung im Umgang mit den Amerikanern. Berlin müsse den USA klarmachen, dass es an der Zeit sei, "durch größtmögliche Transparenz wieder Vertrauen zu schaffen, damit das freundschaftliche Verhältnis nicht nachhaltigen Schaden erleidet".

Der Vorsitzende des Bundestagsinnenausschusses, Wolfgang Bosbach, sagte dem Kölner Stadtanzeiger: "Erklären kann ich mir das amerikanische Vorgehen nur vor dem Hintergrund des 11. September, weil ja die Terrorzelle in Deutschland gelebt hat." Dies sei aber weder eine Erklärung noch eine Rechtfertigung dafür, Daten zu speichern, die "ohne jede Sicherheitsrelevanz" seien.

Ströbele ruft BND und Verfassungsschutz zu Hilfe

Auch die deutschen Geheimdienste geraten wegen der massenhaften Ausspähung deutscher Kommunikationsverbindungen verstärkt unter Druck. "Unsere Spionageabwehr muss auf ihre Effektivität überprüft werden, wenn es ausländischen Geheimdiensten ohne Mühe möglich ist, die Telefonate und E-Mails deutscher Bürger millionenfach abzufangen und auszuwerten", sagte der Parlamentarische Geschäftsführer der SPD-Bundestagsfraktion, Thomas Oppermann, der Frankfurter Rundschau. "Das stellt unseren Geheimdiensten kein gutes Zeugnis aus."

Hans-Christian Ströbele von den Grünen, oft ein Kritiker der Sicherheitsbehörden, rief die Sicherheitsdienste zum Handeln auf: Bundesnachrichtendienst und Bundesamt für Verfassungsschutz müssten illegale Aktivitäten des US-Geheimdienstes NSA mit Bezug zu Deutschland unterbinden. "Wenn die Berichte stimmen, dann ist das Spionage übelster Sorte", sagte er der Mitteldeutschen Zeitung. "Der Bundesnachrichtendienst und auch der Verfassungsschutz haben bisher immer gesagt, dass das Ziel ihrer Tätigkeit niemals befreundete Nationen sind. Ich denke, das müssen wir jetzt überdenken. Unsere Dienste müssen diese Spionage abwehren." Ströbele gehört dem Parlamentarischen Kontrollgremium zur Überwachung der Geheimdienste an.

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