NS-Zeit:Wurzeln des Widerstands

NS-Zeit: Die Protagonisten der Weißen Rose: Ihre Geschichte kann man in der vor Kurzem neu gestalteten Gedenkstätte in München nachvollziehen.

Die Protagonisten der Weißen Rose: Ihre Geschichte kann man in der vor Kurzem neu gestalteten Gedenkstätte in München nachvollziehen.

(Foto: Catherina Hess)

Glaube, Drogen, Heldentum: Was gab einzelnen die Kraft, sich gegen den Nationalsozialismus aufzulehnen? Eine Konstanzer Historikerin legt eine Psychologie der "Weißen Rose" vor.

Von Jakob Wetzel

Die Frage klingt vertraut, Geschichtswissenschaftler wie Christopher Browning haben sie bereits vor einem Vierteljahrhundert gestellt: Wie waren normale Leute zu so etwas fähig? Wie brachten es deutsche Reservepolizisten über sich, im von der Wehrmacht besetzten Polen Tausende Juden zu erschießen, fragte Browning. Wie konnte es geschehen, dass aus "ordinary men", aus gewöhnlichen Leuten aus Hamburg, Massenmörder wurden?

Miriam Gebhardt stellt diese Frage umgekehrt. Wie ging es zu, dass aus "ganz normalen Deutschen" nicht Täter, sondern Widerständler wurden, fragt die Konstanzer Historikerin in diesem Buch über die Weiße Rose. Wie kam es, dass fünf Studenten und ein Professor in München, der "Hauptstadt der Bewegung", dem Sog der Diktatur standhielten, anders als viele andere, und Flugblätter gegen Hitler druckten?

Man wisse viel darüber, warum Deutsche zu Tätern wurden, aber wenig darüber, warum andere widerstehen konnten, schreibt Gebhardt. Woher nahmen sie ihre Kraft? Aus dem Glauben, wie es in jüngeren Aufsätzen heißt? Standen sie unter Drogen? Oder waren sie einfach Helden? Für die Zeitgenossen ist letzteres die bequemste Antwort, schwingt doch die Frage mit: Wenn diese Widerstand leisten konnten, warum nicht die anderen? Heldenmut dagegen ist wenigen gegeben. Was Helden können, das kann niemand ernstlich von "ganz normalen" Menschen erwarten.

Miriam Gebhardt legt jetzt eine Psychologie des Widerstands vor, die solche Deutungen entkräften will. Sie holt die fünf Freunde und den Professor von ihren Sockeln herab und stellt sie auf Augenhöhe mit den anderen, - die ebenso evangelisch erzogen waren wie Hans Scholl, die auch in der Hitlerjugend waren wie er, Alexander Schmorell und Christoph Probst, die ebenfalls in ein bürgerliches Leben geboren wurden wie alle sechs - die aber nicht in den Widerstand gingen, die vielleicht nicht einmal den Gedanken daran hatten.

Bemerkenswerte Menschen

Gebhardt zeichnet die Herkunft der Widerständler nach, berichtet von konspirativen Treffen, von Verhaftungen und Prozessen. Sie erzählt davon, was nach dem Tod der Widerständler mit deren Familien geschah, und wie diese und die Kirchen später versuchten, die Deutungshoheit zu gewinnen. Gebhardt ist ein lebendiges, teils packendes Sachbuch gelungen. Nur: Den Anspruch zu zeigen, dass die Widerständler "ganz normale Deutsche" gewesen seien, den kann sie nicht ganz einlösen.

Denn die fünf Freunde und der Professor sind alles andere als das gewesen. Sie waren überaus bemerkenswerte Einzelfälle. Gebhardt selbst arbeitet heraus, wie außergewöhnlich diese Menschen gewesen sind - und das ist im Grunde eine Stärke dieses Buchs, denn selten werden historische Personen menschlich so greifbar wie hier.

Während aber zum Beispiel der amerikanische Historiker Christopher Browning ein ganzes Polizeibataillon untersuchen und mit sozialen Mechanismen argumentieren kann, die unabhängig von einzelnen Charakteren wirkten, mit Gruppenzwang etwa oder einer Gewöhnung an die Brutalität des Tötens - Daniel Jonah Goldhagen sollte diese Analyse später empört um den "eliminatorischen Antisemitismus" der Täter ergänzen -, muss Miriam Gebhardt gleich zu Beginn die Leitfrage des Buches relativieren: Sie schreibt, jeder Mensch ziehe andere Lehren aus seinen Erfahrungen. Und so spürt sie fortan in sehr unterschiedlichen Biografien nach Wurzeln des Widerstands.

Pubertätskrisen in der NS-Zeit

Gebhardt konzentriert sich auf den inneren Kreis der Weißen Rose. Da ist der völkisch gesinnte Philosophie-Professor Kurt Huber, der unter den Nationalsozialisten wegen einer körperlichen Behinderung diskriminiert wurde, und den wenig mehr als die Regimegegnerschaft mit den Studenten verband - ob mit Alexander Schmorell und seiner romantisierenden Sehnsucht nach Russland oder auch mit dem konfessionslosen Christoph Probst, dem dennoch eine starke Jenseitsgläubigkeit über den Freitod des psychisch kranken Vaters hinweghalf.

Willi Graf dagegen war so stark in seiner Kirche verwurzelt, dass er sich konsequent der Hitlerjugend verweigerte und sich in katholischen Jugendbünden engagierte, obwohl er dafür inhaftiert wurde. Und Hans und Sophie Scholl attestiert Gebhardt ein enormes elitäres Selbstbewusstsein. Gerade Sophie zeichnet Gebhardt als eine so autonome und reflektierte Frau, dass sie sich gar zu der Spekulation hinreißen lässt, sie wäre später wohl zu einer Pionierin der weiblichen Avantgarde geworden, wäre sie nicht umgebracht worden.

Die Weisse Rose von Miriam Gebhardt

Miriam Gebhardt: Die Weiße Rose. Wie aus ganz normalen Deutschen Widerstandskämpfer wurden. DVA München 2017, 368 Seiten, 19,99 Euro. E-Book: 15,99 Euro.

Spekulationen gibt es überhaupt einige in diesem Buch. Das liegt nahe, ist die Frage nach Motiven doch meist keinem handfesten Beweis zugänglich, bieten die Quellen doch nur Indizien, die Historiker deuten und interpretieren müssen, worüber sich dann wiederum streiten lässt. Gebhardt deutet vieles neu, ihre Folgerungen allerdings sind nicht immer zwingend.

Die Annahme etwa, dass der Fronteinsatz von Scholl, Schmorell und Graf ein Schlüsselerlebnis gewesen sei, verwirft sie arg schnell, ebenso die Bedeutung der Begeisterung der Studenten für christliche Denker und den Einfluss katholisch-existentialistischer Mentoren wie Theodor Haecker und Carl Muth.

Persönlichkeiten mit innerer Autonomie

Diskutabel ist auch unter anderem, wie Gebhardt die humanistische Argumentation in den Flugblättern relativiert: Diese spiegelten nicht die tatsächlichen Antriebe der Autoren, sondern sollten nur die bildungsbürgerliche Zielgruppe zum Nachdenken bringen, schreibt sie - und unterschätzt wohl, wie sehr die Studenten selbst Teil dieser Zielgruppe waren.

Dennoch gelingt es Gebhardt, Akzente zu verschieben. Zumindest für die Studenten findet sie Gemeinsamkeiten: Die jungen Leute schildert sie nicht als tief gläubige Idealisten, sondern als Persönlichkeiten mit bemerkenswerter Geistesstärke und Fähigkeit zur inneren Autonomie sowie als Jugendliche, die sich in Pubertätskrisen der Erkenntnis stellen müssen, dass sich ihre individualistischen Lebensentwürfe nicht mit dem "Du bist nichts, Dein Volk ist alles" der Nationalsozialisten vertragen.

Es sind Krisen, wie sie viele Jugendliche erleben, nur eben in einer totalitären Gesellschaft. Und zumindest in dieser Hinsicht sind die Mitglieder der Weißen Rose dann vielleicht doch "ganz normale" Jugendliche gewesen.

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