Nationalsozialismus:Die Vernichtungswut des Adolf Hitler

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Seltener Auftritt während des Kriegs: Hitler im Berliner Sportpalast vor Offiziersanwärtern im Dezember 1940. (Foto: Süddeutsche Zeitung Photo)
  • Der Journalist Volker Ullrich hat eine Biographie über den deutschen Nazi-Diktator Adolf Hitler geschrieben.
  • Ulrichs Darstellung bleibt dicht an ihrem Protagonisten, dessen Wille zum Krieg und dessen Entscheidung zum Losschlagen im Sommer 1939 den Auftakt des Bandes bilden.
  • Der Autor schildert den Weg des deutschen Diktators in den Untergang - ohne jedes Getöse und Geraune.

Rezension von Norbert Frei

Es ist ein weiter Weg, den die Hitler-Forschung in den vergangenen Jahrzehnten beschritten hat. Dabei muss man gar nicht zurückgehen bis zur ersten großen Biografie über den "Führer", die der englische Historiker Alan Bullock bereits 1952 veröffentlichte, die im Jahr darauf auf Deutsch herauskam und die nur aus einem Bruchteil jener Quellen schöpfen konnte, die heutigen Biografen zugänglich sind.

Es genügt, noch einmal in dem zwei Jahrzehnte später erschienenen "Hitler" von Joachim Fest zu blättern, um festzustellen, wie schwer es nicht nur den meisten Zeitgenossen des "Dritten Reiches", sondern auch der Forschung fiel, sich der negativen Faszinationskraft des Mannes aus Braunau zu entziehen.

Vielleicht hat es des Abstands zweier Generationen bedurft, um über den Diktator mit jener kühlen Nüchternheit zu schreiben, die Volker Ullrichs nach achtjähriger Arbeit nun vollständig vorliegende zweibändige Biografie so eindrucksvoll durchhält.

Volker Ullrich: Adolf Hitler. Biographie. Die Jahre des Untergangs 1939-1945. S. Fischer, Frankfurt 2018, 893 Seiten, 32 Euro. E-Book: 27,99 Euro. (Foto: N/A)

Ulrichs Darstellung bleibt dicht an ihrem Protagonisten, dessen Wille zum Krieg und dessen Entscheidung zum Losschlagen im Sommer 1939 den Auftakt des Bandes bilden. In den Monaten nach seinem 50. Geburtstag befand sich Hitler bei den Deutschen auf einem ersten Höhepunkt seines Ansehens; das aber vor allem deshalb, weil er das Reich ohne Krieg und Blutvergießen wieder "groß" gemacht hatte.

Daraus - und wohl mehr noch aus der im kollektiven Gedächtnis nur allzu präsenten Erinnerung an die Katastrophe des erst zwei Dekaden zuvor zu Ende gegangenen Weltkriegs - erklärt sich, dass am 1. September 1939 von Begeisterung keine Rede sein konnte, als Hitler vor dem eilends zusammengetrommelten Reichstag in der Krolloper verkündete: "Seit 5.45 Uhr wird jetzt zurückgeschossen! Und von jetzt an wird Bombe mit Bombe vergolten."

Das war nicht nur hochgradig verlogen, sondern auch faktisch falsch. Hitler, sichtlich erschöpft nach dem tage- und nächtelangen diplomatischen Tauziehen, das die Spuren seiner alleinigen Verantwortung zu verwischen suchte, vertat sich um eine Stunde.

Gemäß seiner Weisung vom Vortag hatte der deutsche Überfall auf Polen um 4.45 Uhr begonnen: nach von der SS inszenierten "Grenzzwischenfällen", unter anderem am Sender Gleiwitz. Und schon im Morgengrauen legte die Luftwaffe die Kleinstadt Wieluń in Schutt und Asche.

Volker Ullrich folgt dem "Führer", der sich in den folgenden Jahren kaum noch in Berlin, jedoch fast 400 Tage auf dem Obersalzberg und ansonsten in seinen wechselnden Hauptquartieren aufhielt, von einem Kriegsschauplatz zum nächsten.

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Dies nicht im Sinne einer auf die Schlachtenverläufe fixierten Militärgeschichte - obwohl es auch an eindringlichen Schilderungen etwa der Situation in Stalingrad oder im "Kursker Bogen" (Unternehmen Zitadelle) nicht mangelt -, sondern mit klarem Blick für die rassistische Vernichtungswut, die Hitlers Ostkrieg von Anfang an charakterisierte. Und er lässt keinen Zweifel daran, wie fügsam sich die Wehrmachtgeneralität, nach einigen folgenlosen Protesten gegen die ersten Massenverbrechen der Einsatzgruppen bereits im "Polenfeldzug", im Ganzen dazu verhielt.

Zentral für diese Interpretation ist das große Kapitel über den "Weg in den Holocaust". Gestützt auf die Forschungsliteratur, die seit Ian Kershaws ebenfalls zweibändiger Hitler-Biografie (1998/2000) noch einmal signifikant angewachsen ist, verdeutlicht Ullrich, wie sehr der Völkermord an den Juden Europas des Krieges als Ermöglichungsraum bedurfte.

Zugleich zeigen sich hier die Grenzen des biografischen Zugriffs. Denn als der ausschlaggebende Akteur, der er tatsächlich war, wird Hitler in diesem Zusammenhang oft nur indirekt sichtbar.

Der Autor schreibt mit hanseatischer Distanziertheit

Im Rahmen einer Biografie nur schwer auf den Punkt zu bringen - das musste schon Kershaw erfahren, der stärker als Ullrich auf die gesellschaftsgeschichtliche Perspektive setzte - ist auch, jedenfalls für die Kriegsjahre, die Geschichte der Beziehung zwischen Hitler und den Deutschen.

Wie ein roter Faden zieht sich durch das Buch Joseph Goebbels' Bemühen, die Verbindung zwischen dem "Führer" und seinem Volk nicht abreißen zu lassen; immer wieder, und längst nicht immer erfolgreich, suchte der Propagandaminister den de facto abgetauchten "größten Feldherrn aller Zeiten" zu öffentlichen Auftritten und (Radio-)Ansprachen zu bewegen.

Ob und wie die "Volksgenossen" darauf reagierten, lässt der Autor eine kleine, klug ausgewählte Gruppe von Beobachtern berichten: Friedrich Kellner, den sozialdemokratischen Justizinspektor und unbestechlich kritischen Tagebuchschreiber aus der hessischen Provinz, Lore Walb, die für Hitler glühende Germanistikstudentin, aber auch inzwischen vertraute Stimmen wie den jüdischen Romanisten Victor Klemperer in Dresden und Thomas Mann aus dem amerikanischen Exil.

Darüber hinaus kommt das Verhalten der Deutschen unter den Bedingungen eines schließlich auch für sie selbst zusehends härter werdenden Krieges bei Ullrich nur knapp zur Sprache. Dies nicht ohne Grund: Spiegelt sich darin doch, wie wenig es Sache der "Heimatfront" war, auf den einmal begonnenen Krieg noch Einfluss zu nehmen.

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Angesichts der Entschlusslosigkeit der Militäropposition 1938 und nach dem Scheitern von Georg Elser, dessen mutige Einzeltat im Münchner Bürgerbräukeller am 8. November 1939 der Autor eingehend würdigt, war "von unten" kaum noch etwas zu erhoffen - auch wenn Hitler selbst den Gedanken, ihm könnte etwas zustoßen, immer wieder zu instrumentalisieren wusste.

Volker Ullrich, langjähriger Redakteur der Zeit und versierter Autor zahlreicher historischer Werke, hat es verstanden, die Grauenhaftigkeit der Figur Hitler ohne jedes Getöse und Geraune herauszuarbeiten.

Die präzise, fast möchte man sagen: hanseatische Distanziertheit seiner Darstellung macht nicht zuletzt deutlich, wie absurd die Spekulationen über Hitlers "historische Größe" waren, die Joachim Fest und ein großes Publikum in den Siebzigerjahren in ihrem Bann hielten - und die viele noch lange danach bewegten.

Ob Ullrichs Buch als ein Zeichen dafür gelesen werden kann, dass diese Zeit vorbei ist?

Norbert Frei lehrt Neuere und Neueste Geschichte an der Friedrich-Schiller-Universität Jena und leitet dort das Jena Center Geschichte des 20. Jahrhunderts.

© SZ vom 21.01.2019 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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