NS-Vergangenheit: Auswärtiges Amt:Aufklärer sind keine Querulanten

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Das Buch der Historikerkommission über "Das Amt" zur Nazizeit hat eine große Wirkung. Weil sich die Mär der "Kollektivunschuld ganzer Dienststellen" lange hielt - und weil das Thema am kollektiven Selbstverständnis kratzt.

Johan Schloemann

Warum so spät? Vor 65 Jahren endete der Zweite Weltkrieg. Doch erst vor 15 Jahren wurden die Verbrechen der Wehrmacht in einer Ausstellung dokumentiert und in der deutschen Öffentlichkeit heftig diskutiert. Und erst im Jahre 2010 dokumentiert eine Historikerkommission im Regierungsauftrag die Beteiligung des Auswärtigen Amtes an der Planung und Organisation des Holocausts.

Der letzte Weltkrieg endete vor 65 Jahren. Die Aufklärung der eigenen Vergangenheit begann im Auswärtigen Amt jedoch erst jetzt. (Foto: dpa)

Auf den ersten Blick, besonders auch vom Ausland aus, könnte es so aussehen, als seien die Deutschen jetzt völlig überrascht - überrascht davon, dass unter dem Regime von Adolf Hitler, dessen Außenpolitik Europa mit Vernichtungskrieg und Völkermord überzog, ausgerechnet das Außenministerium doch ein wenig damit zu tun haben könnte.

Tatsächlich aber täuscht der Eindruck. Die Deutschen haben ihre Verbrechen in den vergangenen Jahrzehnten ausführlich ausgeleuchtet und dokumentiert. Die verpflichtende Verantwortung für die Ermordung der Juden ist nach so manchen Kämpfen längst zur parteiübergreifenden Staatsräson geworden. Und die Geschichtsforschung hat auch die Mitwirkung der deutschen Diplomaten an der "Endlösung" seit längerem untersucht und erschütternde Dokumente dazu publiziert.

Kein anderes Forschungsfeld ist so moralisiert

Weshalb also hat die Studie "Das Amt" eine so starke Wirkung, und weshalb muss sich die zuständige Historikerkommission nun gegen Angriffe zur Wehr setzen? Die Gründe liegen im Verhältnis von professioneller Zeitgeschichtsforschung und allgemeinem Bewusstsein.

Nirgendwo anders berühren sich Wissenschaft und Publikum so eng wie bei der Wahrnehmung des Nationalsozialismus; kein Forschungsfeld ist so moralisiert und politisiert, keines wird so oft journalistisch aufbereitet. Dies geschieht zwar mit vollem Recht, weil das Thema das kollektive Selbstverständnis betrifft - doch schafft die Nähe auch Missverständnisse, etwa dasjenige, es sei doch alles ohnehin schon allen bekannt. Oder das Missverständnis, dass manche die fachliche Kontroverse mit öffentlicher Aburteilung verwechseln.

In diesem schwierigen Umfeld hat die Kommission dem Auswärtigen Amt ihre Aufarbeitung präsentiert. In der Ära Adenauer wurden Verbrecher und Komplizen wegen ihrer administrativen Erfahrung weiterbeschäftigt, Aufklärer als Querulanten abgefertigt. Noch zuletzt wehrten sich uneinsichtige Pensionäre gegen die Wahrheit über den diplomatischen Dienst, der viel auf seinen Anstandskodex hält. Und vor zwei Jahren hat der Stauffenberg-Film mit Tom Cruise ungewollt die populäre Wahrnehmung gestärkt, ganze unbefleckte Eliten hätten sich heldenhaft gegen Hitler gestellt, während es in Wahrheit nur einige rühmliche Ausnahmen gab.

Schon Ende der fünfziger Jahre kritisierte etwa der Jurist Henry Ormond, ein heimgekehrter Emigrant, die Behauptung einer "Kollektivunschuld ganzer Dienststellen", und die liberale Presse sagte damals Ähnliches. Trotzdem konnte sich die Legende vom sauber gebliebenen Außenamt halten; dessen Zutun zur Judenverfolgung hat bis heute nicht in die Schulbücher gefunden, auch nicht in die Schulbücher für die Oberstufe an Gymnasien.

Unter solchen Umständen ist es verständlich, dass die Studie "Das Amt" mit etwas mehr Aplomb und Neuheitswert aufgetreten ist als wissenschaftlich angemessen. Der Vorwurf relativiert sich allerdings schnell durch den Hinweis, dass die Historikerkommission den Umgang mit der NS-Vergangenheit des Ministeriums in der Nachkriegszeit selbst zum Forschungsthema gemacht hat, bis hin zur Zeit von Joschka Fischer. Die Zeitgeschichte gehört eben selbst zur Zeitgeschichte.

Im Übrigen können paradoxerweise selbst große Aufarbeitungsergebnisse Schlussstrich-Effekte haben: Jetzt ist das dicke Buch fertig, jetzt ist es erstmal geschafft. Aber im Moment sieht es so aus, als wollte es doch jede neue Generation wieder genauer wissen.

© SZ vom 11.12.2010 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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