NS-Verbrecher Alois Brunner:Elendes Ende von Eichmanns "Bluthund"

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Alois Brunner war jahrelang weltweit der meistgesuchte Nazi. (Foto: AFP)
  • NS-Verbrecher Alois Brunner soll 2001 als Gefangener in einem Keller in Damaskus gestorben sein.
  • Als SS-Offizier war der Österreicher für den Tod von mindestens 128 000 Juden verantwortlich.
  • Jahrzehntelang lebte Brunner unbehelligt als Gast und Helfer des Assad-Regimes in Syrien.

Von Oliver Das Gupta und Benjamin Moscovici

1986 reist Christian Springer nach Syrien mit einem verwegenen Plan. Der 20 Jahre alte Münchner will Alois Brunner aufspüren - den damals meistgesuchten Nazi-Verbrecher. Brunner hatte zuvor der Bunten ein Interview gegeben, in dem er nichts bestritt und seinen Aufenthaltsort preisgab: Damaskus.

Dort fragt sich Christian Springer dann nach dem früheren SS-Mann aus Österreich durch. Er spricht mit Gemüsehändlern, Textilwäschern und Caféhausbesitzern, die ihn kennen. Immer wieder wird ihm dieselbe Adresse genannt: Djordji Haddad Nr. 1. Dort, in einer ruhigen Seitenstraße, steht ein kleines Gebäude im Diplomatenviertel. Vor dem Haus stehen Männer in schwarzen Lederjacken auf der Straße, sie tragen Kalaschnikows. Der Präsidentenpalast thront auf einem Hügel in Sichtweite. Und ganz in der Nähe: die deutsche Botschaft.

Brunner wird nie gefasst, also reist Springer immer wieder nach Damaskus, selbst als er schon als Kabarettist arbeitet. Zu Gesicht bekommt er den Altnazi nie, Brunner bleibt ein Phantom. Vor einiger Zeit behauptete der Focus, Brunner sei 2010 in einem Damaszener Krankenhaus gestorben. Die Quelle der Zeitschrift: die Schwester von Machthaber Baschar al-Assad.

Ein aktueller Bericht deutet nun aber darauf hin, dass Brunners letzte Lebensjahre anders verlaufen sind: Unter Berufung auf drei ehemalige Angehörige des syrischen Geheimdienstes berichtet das französische Magazin Revue XXI, er sei schon 2001 gestorben - als Gefangener in einem Keller.

Brunner und die Geheimdienstleute haben sich demnach schon länger gekannt, er soll sie ausgebildet haben - unter anderem soll er ihnen Foltermethoden gezeigt haben. Um die Jahrtausendwende soll er in einem Untergeschoss eines Geheimdienstgebäudes einquartiert worden sein - aus den Schülern wurden Bewacher. "Die Tür schloss sich hinter ihm und öffnete sich nie wieder", wird einer seiner Aufpasser zitiert.

Bis zum Tod ein fanatischer Nazi

Angeblich wurde Brunner aus "Sicherheitsgründen" weggesperrt. Doch es ging dem Regime wohl vor allem um das eigene Ansehen in der Welt: Man wollte offensichtlich unbedingt verhindern, dass Brunner fotografiert wird - schließlich beteuerte der Assad-Clan der Welt, nichts über den Verbleib des Verbrechers zu wissen.

Dem Bericht zufolge habe der greise Massenmörder dort unter elenden Zuständen gelebt haben: Brunners Essen sei grässlich gewesen, er selbst war demnach sehr müde und krank. "Am Ende konnte er sich nicht mal selbst waschen", heißt es. Sehr gelitten und viel geweint habe der alte Mann, sagt sein Bewacher. Bis zu seinem Tod soll er ein fanatischer Nazi gewesen sein, Reue Fehlanzeige.

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Brunner, der 1912 als Sohn eines Bauern im Burgenland geboren wurde, war für die Ermordung von mindestens 128 000 Juden verantwortlich. In Paris und an anderen Orten Frankreichs holte Brunner Kinder aus ihren Verstecken, um sie in den Tod zu schicken. Im griechischen Thessaloniki, wo das Judentum schon zu Lebzeiten von Jesus Christus floriert hatte, organisierte Brunner die Deportation von fast der gesamten Gemeinde in Vernichtungslager. Von den 50 000 Juden Thessalonikis überlebten weniger als 2000 ( hier ein Interview mit einem der letzten Zeitzeugen).

SS-Hauptsturmführer Brunner - Beiname "Bluthund" - brüstete sich, "Wien judenrein" gemacht zu haben. Dort residierte er mit seiner Frau in einer Juden geraubten Villa, die er mit zusammengerafften Wertgegenständen vollstopfte. In der österreichischen Metropole war er zum "besten Mann" von Adolf Eichmann avanciert, dem Cheforganisator der nationalsozialistischen Judenvernichtung.

Nach dem Krieg tauchte Brunner unter, mal in Österreich, mal in der Bundesrepublik. Spätestens nachdem er 1954 von einem französischen Gericht in Abwesenheit zum Tode verurteilt worden war, musste er Europa verlassen. Über ein Netzwerk von Nazi-Veteranen, die nach dem Krieg im westdeutschen Staat Karriere gemacht hatten, fand er Zuflucht in Ägypten bei Mohammed Amin al-Husseini, dem Großmufti von Jerusalem. Brunner reiste mit dem Pass eines "Kameraden", dessen Namen er zu seiner Identität machte: Dr. Georg Fischer.

Brunner siedelte unter seiner neuen Identität einige Jahre später nach Syrien über, vermutlich auf Rat des Großmuftis. Der palästinensische Judenhasser hatte mit Nazi-Deutschland kooperiert und hat nach dem Krieg zahlreichen NS-Kriegsverbrechern Unterschlupf gewährt. ( hier mehr dazu).

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In Syrien handelte er erst mit Bier und Sauerkraut - in Wirklichkeit mit Waffen. Bald stellte er sich in den Dienst des Assad-Regimes und meldete sich verblüffend ungeniert aus Damaskus. Als sein alter Chef Eichmann in Israel vor Gericht stand, bot er dessen Anwalt seine Hilfe an und plante sogar die Entführung Eichmanns aus Jerusalem. Vermutlich von Israel initiierte Attentatsversuche schlugen fehl, Brunner verlor mehrere Finger und ein Augenlicht. Aber vorsichtiger agierte er nicht. In Damaskus plauderte er mit Touristen, 1985 gab er dann der Bunten das Interview, das Christian Springer aktivierte. In dem Gespräch prahlte Brunner: "Israel wird mich nie bekommen."

Benjamin Netanjahu, damals noch israelischer Botschafter bei den Vereinten Nationen, hielt die Zeitschrift mit dem Foto von Brunner bei einer Rede in die Kameras. Seitdem wusste die ganze Welt, wo Brunner steckte. Der Altnazi gab noch weitere Interviews, doch auf politischer Ebene passierte offiziell nichts.

Dokumente belegen allerdings, dass die DDR auf Initiative der Nazijäger Serge und Beate Klarsfeld versuchte, an Brunner heranzukommen. Ein Prozess gegen einen berüchtigten Nazi, der nach dem Krieg mit westdeutscher Hilfe untertauchen konnte - davon versprach sich das Honecker-Regime einen moralischen Erfolg. Spätestens seit 1988 verhandelten Ost-Berlin und Damaskus über die Auslieferung des Österreichers. Doch der Mauerfall setzte diesen Plänen ein Ende.

Die bundesdeutschen Behörden zeigten indes kein großes Interesse an der Causa Brunner, allerdings verfügte man über Wissen. Beim Bundesnachrichtendienst, der in frühen Jahren Kontakte zu Brunner hatte und ihm vermutlich auch half, existierte eine üppige Akte zu dem Österreicher. Die fast 600 Seiten landeten Mitte der neunziger Jahre im Schredder.

Kabarettist Springer erinnert sich noch heute, wie gereizt die deutsche Botschaft in Damaskus noch 1999 auf Fragen nach dem Altnazi reagierte. "Brunner ist tot, verstehen Sie das endlich!" Nach allem, was man weiß, stimmte das nicht. Springer ist sicher: "Die wussten das."

Tarnung bis in den Tod

Für Hedi Aouidj, einen der beiden Journalisten, die für Revue XXI die Brunner-Geschichte recherchiert haben, gibt es noch eine andere, interessante Komponente in der Causa. Im französischen Radio hob er hervor, welche Rolle Brunner für das Regime des alten Machthabers Hafis al-Assad gespielt hat: "Er trainierte Assads innersten Kreis", sagte Aouidj, entsprechend sei er vom Regime bezahlt, eingekleidet und einquartiert worden. In den sechziger und siebziger Jahren half Brunner Assad dabei, seine Macht zu stabilisieren und einen Polizeistaat aufzubauen. Das scheint der alte Assad dem alten Nazi nicht vergessen zu haben. Obwohl er seit 1989 unter Hausarrest gestanden haben soll, scheint es Brunner gut gegangen zu sein.

Doch mit Tod von Assad Senior Mitte 2000 soll sich die Lage für Brunner drastisch verschlechtert haben. Sohn Baschar al-Assad, der neue Staatschef, soll nach Aouidjs Worten für Brunners Ende im Elend verantwortlich sein: "Er wurde von Baschar fallengelassen."

Als Brunner 2001 starb, ging das syrische Regime mit seinem Leichnam ähnlich um, wie schon mit dem lebenden Greis: Auf einem Damaszener Friedhof scheint er bestattet worden zu sein, heimlich, nach muslimischem Ritus. Man tarnte den Altnazi auch noch im Tod.

Für Christian Springer ist der Fall Brunner damit noch nicht abgeschlossen: "Es geht darum, dass die Bundesrepublik Brunner jahrzehntelang geschützt und ihm vielleicht sogar so etwas wie eine Rente gezahlt hat." Für Springer ist das einer der größten Skandale der deutschen Nachkriegsgeschichte.

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