NS-Verbrechen in Griechenland:Vergessene Schicksale

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Letzte Bilder: Jüdische Männer aus dem Hafengebiet von Saloniki sind versammelt, um von den deutschen Besatzern zur Zwangsarbeit eingesetzt oder deportiert zu werden. (Foto: Scherl/SZ Photo)

Mittel- und Osteuropa steht bei der Erforschung der NS-Verbrechen zu Recht im Fokus, doch auch anderswo litten Millionen Menschen unter der Besatzungsherrschaft. Eleni Tsakmaki hat das Schicksal einiger griechischer NS-Opfer näher beleuchtet.

Rezension von René Wildangel

Das Ausmaß der deutschen Verbrechen in Griechenland im Zweiten Weltkrieg ist im öffentlichen Bewusstsein in Deutschland bis heute nur wenig verankert. Drei Jahre lang, von 1941 bis 1944, befand sich Nordgriechenland unter brutaler deutscher Besatzungsherrschaft. Hunderttausende Menschen starben an Hunger und Schwäche, weil die deutsche Wehrmacht nahezu alle lebenswichtigen Ressourcen raubte und für eigene Zwecke missbrauchte. Aus Thessaloniki wurde nahezu die gesamte jüdische Gemeinde – 58 000 Menschen – nach Auschwitz deportiert und ermordet.

Es ist daher ein besonderes Verdienst, dass zu den wenigen verfügbaren Veröffentlichungen, die an dieser Unkenntnis etwas zu ändern suchen, nun der kleine Band über „Griechische Gefangene in deutschen Konzentrationslagern“ hinzugekommen ist – ein Thema, das erst recht unterbelichtet ist. Allein im KZ Dachau waren mehr als 1000 Griechinnen und Griechen inhaftiert, von denen 93 im Lager umkamen beziehungsweise ermordet und 668 befreit wurden; die anderen wurden weiterverschleppt. Circa 160 000 Menschen aus Griechenland mussten Zwangsarbeit vor allem für die deutsche Kriegswirtschaft leisten, die meisten davon im besetzten Griechenland selbst.

Ungewisses Schicksal: Griechische Juden, die gegen die deutsche Wehrmacht gekämpft hatten, 1943 in einem Sammellager. (Foto: Scherl/Süddeutsche Zeitung Photo)

Nach kaum erfolgreichen Anwerbeaktionen für den Arbeitseinsatz in Deutschland verschleppten die deutschen Besatzungsbehörden ab 1943 verstärkt vor allem Jugendliche und junge Männer nach Deutschland. Der Band von Eleni Tsakmaki versammelt 13 Einzelschicksale, darunter die von drei Frauen. Die Mehrzahl der porträtierten Menschen wurde in Konzentrations- oder Arbeitslagern inhaftiert und zur Zwangsarbeit eingesetzt. Mehrere von ihnen wurden als 13- bis 17-jährige Jugendliche willkürlich auf der Straße verhaftet und unter unmenschlichen Bedingungen nach Deutschland deportiert.

Flucht aus dem KZ Dachau – und erneut gefangen

Viele hatten nicht einmal Zeit, ihre Familien zu informieren, so wie Panajiotis Grivas oder Kostas Roubakostas, die die brutale Lagerhaft und anstrengenden Arbeitseinsätze überlebten und erst nach Kriegsende wieder vor den Türen ihrer von Sorgen verzehrten Familie standen. Andere wurden aufgrund ihrer Zugehörigkeit zu griechischen Widerstandsgruppen verhaftet und besonders brutal behandelt. Am ausführlichsten wird die dramatische Geschichte von Georgios Psaropoulos wiedergegeben, der eher durch unglückliche Zufälle im Konzentrationslager Dachau landete und nach einer gelungenen Flucht erneut dort inhaftiert wurde. Schließlich wurde er zum Arbeitseinsatz in der Nähe des KZ Mittelbau-Dora verbracht, in dem sich Häftlinge zu Tode schuften mussten, wenn sie nicht von ihren deutschen Bewachern ermordet wurden.

Die Erinnerung wachhalten: Gedenken vor dem Holocaust-Memorial in Thessaloniki im Jahr 2023. (Foto: SAKIS MITROLIDIS/AFP)

Auch wenn Griechinnen und Griechen anders als jüdische oder osteuropäische Häftlinge in den Konzentrationslagern auf den ersten Blick nicht im Fokus der Vernichtungspolitik des Nationalsozialismus standen, zeigen die Berichte eindrucksvoll, wie überaus grausam sie oftmals behandelt wurden. Das Überleben wurde aufgrund von Misshandlungen, Unterernährung und fehlender Gesundheitsversorgung zur reinen Glücksache. Jannis Arazos wog als 21-Jähriger noch 45 Kilo, nachdem er das Strafgefangenenlager Bernau bei Rosenheim überlebt hatte. Jüdischen Griechinnen und Griechen gelang es nur in Ausnahmefällen, der Ermordung zu entkommen, so wie im Falle der im Band dokumentierten Geschichte der Auschwitzüberlebenden Lina Perachia.

Griechenland fordert Milliardenentschädigung

Die Lektüre dieser Geschichten ist bewegend und deprimierend. Da in Griechenland 1945 der Krieg nicht endete, sondern in einem Bürgerkrieg mündete, konnten einige dieser Menschen zunächst nicht nach Hause zurückkehren, andere blieben sogar für immer in Deutschland. Entschädigt wurden sie für ihre Torturen in der Regel nicht. Die Bundesrepublik leistete 1961 eine Zahlung von 115 Millionen Mark für alle „von nationalsozialistischen Verfolgungsmaßnahmen betroffenen griechischen Staatsangehörige“, eine gemessen an den gigantischen Verbrechen verschwindend geringe Summe. Weil Deutschland seitdem jegliche weiteren Entschädigungszahlungen ablehnt, fordert der griechische Staat heute Reparationsleistungen in Milliardenhöhe für die erlittenen Verluste.

Eleni Tsakmaki: Letzte Station. Griechische Gefangene in deutschen Konzentrationslagern. Papyrossa Verlag, Köln 2024. 124 Seiten, 15 Euro. (Foto: PapyRossa)

Leider erfährt man über all das, abgesehen von einigen veralteten griechischen Zeitungsausschnitten, wenig Konkretes in Tsakmakis Buch. Es handelt sich dabei um die Übersetzung des 2011 auf Griechisch erschienenen Werkes. Die aufgezeichneten Geschichten der Überlebenden stammen aus unterschiedlichen Quellen; die meisten Gespräche führte Tsakmaki selbst mit den Überlebenden, andere stammen aus zweiter Hand und sie sind sehr unterschiedlich aufschlussreich.

Bruchstückhafte Einführung und Einordnung

So verdienstvoll die deutsche Übersetzung der Zeugnisse der Überlebenden ist, so sinnvoll wäre es gewesen, das vorhandene Material besser zu editieren und mit zusätzlichen inhaltlichen Informationen zu versehen. Sicher hätte eine Sichtung der zahlreichen seit 2011 erschienenen Veröffentlichungen zum Thema den Rahmen dieser kleinen Publikation gesprengt. Doch wünschenswert wäre eine erweiterte Einführung, die neue Erkenntnisse zur Geschichte der griechischen KZ-Häftlinge, der griechischen Zwangsarbeiterinnen und Zwangsarbeiter sowie der Entschädigungsdebatte zusammenfasst. Die im Buch versammelten ausschnitthaften Quellen im Anhang, wie zum Beispiel eine Liste von ermordeten Häftlingen im KZ Neuengamme, bleiben bruchstückhaft.

Das entwertet die bewegenden Geschichten nicht, die Eleni Tsakmaki für ihr Buch zusammengetragen hat. In der heutigen Zeit, in der die Stimme der Überlebenden zunehmend verstummen, ist dieses Buch ein wichtiger Beitrag zur Würdigung griechischer Einzelschicksale unter der NS-Herrschaft, die in Deutschland viel zu selten erinnert werden.

René Wildangel ist Historiker und schreibt unter anderem zum Schwerpunkt Naher/Mittlerer Osten.

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