NS-Staat, Stasi und der Geheimdienst:Die braune Vergangenheit des BND

Frühere Nationalsozialisten machten bei westdeutschen Geheimdiensten und Polizei Karriere. So weit bekannt. Doch nun sind einige weitere Personen enttarnt. Die Birthler-Behörde hat die Akten dazu freigegeben - nach 20 Jahren.

Lars Langenau

Die Berliner Zeitung platzt mit einem außergewöhnlichen Tagesthema in den heißen WM-Sommer: Es geht um den "Brauen Sumpf" - um Ex-Nazis, die in westdeutschen Geheimdiensten, Ministerien und bei der Polizei Karriere machten.

Oberst Reinhard Gehlen, 1944, später Gründer Bundesnachrichtendienst

1944 Reinhard Gehlen als Oberst im Kreis anderer Offiziere. Gehlen war im Krieg Leiter der Abteilung "Fremde Heere Ost" im Generalstab des Heeres, um nach dem Krieg den Bundesnachrichtendienst aufzubauen.

(Foto: AP)

Neu ist das Thema nicht. Viele alte Nazis sind über die Jahrzehnte in der Bundesrepublik enttarnt worden. Auch in höheren Ämtern als die Personen, die der Rechercheur der Berliner Zeitung, Andreas Förster, dokumentiert. Die Berliner Zeitung gibt also Einblick in Akten, die beweisen, was wir immer schon wussten, aber nur schwerlich beweisen konnten: weitreichende personelle Kontinuitäten früherer Nationalsozialisten, die in der Bundesrepublik Karriere gemacht haben.

Kürzlich enthüllte die Frankfurter Allgemeine Sonntagszeitung die Existenz einer Ermittlungsgruppe beim BND, die NS-Verbrecher in den eigenen Reihen ausfindig machen sollte. 71 Personen wurden demnach ab den sechziger Jahren vom BND entlassen, weil sie zu sehr in Verbrechen des nationalsozialistischen Machtapparates verstrickt waren. Allerdings blieben die Wehrmachtskader der Organisation Gehlen, also des Vorläufers des BND unbehelligt. Reinhard Gehlen selbst war Generalmajor und Leiter der Abteilung "Fremde Heere Ost" im Generalstab des Heeres und in der Zeit des Kalten Krieges wertvoll - sowohl für die Amerikaner, als auch später für die Gründung des deutschen Geheimdienstes BND.

In den siebziger und achtziger Jahren tat sich der Journalist Bernt Engelmann mit Enthüllungen dieser Art hervor. Bis man versuchte ihn zu diskreditieren, da er viele Informationen über die Stasi zugespielt bekommen hatte. Der 1994 verstorbene Engelmann zeigte in seinem "Tatsachenroman" Großes Bundesverdienstkreuz von 1974, wie Naziverbrecher unbehelligt in der BRD Karriere machen konnten. In jüngster Zeit sorgten Jonathan Littells Roman Die Wohlgesinnten und ein paar Jahre zuvor der amerikanische Soziologe und Politikwissenschaftler Daniel Goldhagen mit seinem Buch Hitlers willige Vollstrecker für Aufsehen. Gemeinsam haben sie, dass die Naziverbrecher ganz normale Männer waren, die zu den schlimmsten Verbrechen fähig waren. Und manche nach ihren Exzessen während des Krieges wieder als unbescholtene Leute in Westdeutschland leben konnten.

Die Ziele der Stasi

20 Jahre nach Öffnung der Stasi-Archive gab die Birthler-Behörde bereits Ende April bislang gesperrte Unterlagen des DDR-Staatssicherheitsdienstes frei. Laut dem Bericht der Berliner Zeitung betreffen sie die NS-Vergangenheit von 18 früheren westdeutschen Geheimdienstmitarbeitern und Polizeibeamten. Die Sperrung der Akten des Ministeriums für Staatssicherheit (MfS) hatte die Behörde nach Rücksprache mit dem Bundesinnenministerium im November 2000 verfügt, als die betreffenden Unterlagen erstmals von einem Journalisten zur Akteneinsicht angefordert wurden.

Bei den bis vor kurzem als "VS - Vertraulich" eingestuften Unterlagen handelt es sich um zwei Bände eines insgesamt 27 Aktenordner umfassenden Forschungsvorgangs der Stasi-Hauptabteilung IX/11 aus den Jahren 1971 bis 1980. Darin sammelte das MfS Informationen über die Verwicklung westdeutscher Sicherheitsbeamter in Kriegsverbrechen während der Nazizeit. Und das mit zwei Zielen: Propaganda der DDR zur Diskreditierung des westdeutschen Sicherheitsapparates durch die Aufdeckung der faschistischen Vergangenheit ihrer Mitglieder. Und als Möglichkeit, die Personen durch die Akten zu erpressen und zur Mitarbeit für die Stasi zu zwingen.

In den Akten finden sich laut Berliner Zeitung die Namen von früheren Mitarbeitern des Bundesnachrichtendienstes, des Verfassungsschutzes, des Militärischen Abschirmdienstes sowie der Landespolizei von Schleswig-Holstein, von Hamburg und von Westberlin. Einige von der Zeitung dokumentierte Beispiele:

- Kurt Fischer, Ex-Mitarbeiter beim Bundesamt für Verfassungsschutz. Er war laut den Unterlagen 1941 im besetzten Polen als Polizist eingesetzt, später für die SS in Dachau und Auschwitz in dem Amt, das Zyklon B bestellte.

- Josef Anetzberger war Angehöriger des SS-Totenkopf-Wachbataillons im KZ Sachsenhausen und später beim BND.

- Franz Market war als SS-Mann in Bozen in einem Gefangenenlager eingesetzt und später Verfassungsschützer in Schleswig-Holstein.

- Erwin Japp war Adjutant des Kommandeurs der Ordnungspolizei in Simferopol. Sein Name stand auf einer sowjetischen Liste über Beteiligungen an Nazi-Verbrechen in der UdSSR. Anfang der siebziger Jahre wurde er Inspekteur der Schutzpolizei Süd in Schleswig-Holstein.

Andere Berichte belasten den ehemaligen Staatsekretär im Kieler Innenministerium, Hans-Werner Otto, der während des Krieges in der Ukraine an Deportationen von Zwangsarbeitern verantwortlich und zuständig für zehn Todesurteile an 18-Jährigen Zwangsarbeitern gewesen sein soll. Ins Visier von Moskau geriet via Ostberlin auch der damals angesehene westdeutsche Professor für Philologie und Sowjetologie, Boris Meissner, der als SA-Mann "Strafoperationen" in der besetzten Sowjetunion durchgeführt haben soll, wie die Berliner Zeitung schreibt.

Einen weiteren, vielleicht sogar den wichtigeren, Aspekt bislang fehlender Aufarbeitung der braunen Vergangenheit spießt die Zeitung auch noch auf: das Versagen des BND bei der Aufarbeitung seiner eigenen Geschichte. Ein Sprecher der Behörde sagte der Zeitung, der Dienst erarbeite "derzeit im Auftrag des Bundeskanzleramtes im engen Dialog und in Abstimmung mit diesem ein Konzept zur systematischen Aufarbeitung der Geschichte des BND".

Ein solches Forschungsprojekt hatte BND-Präsident Ernst Uhrlau aber bereits 2006 angekündigt. Der dafür vom BND ausgewählte Historiker Gregor Schöllgen, der insbesondere die NS-Belastung der Gründergeneration des BND erforschen und dokumentieren sollte, konnte sich jedoch mit Kanzleramt und Geheimdienst nicht auf die Ausstattung des Projekts einigen und gab den Auftrag 2008 zurück.

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