NS-Kriegsverbrecher:Finale Jagd nach Doktor Tod

Im Süden Chiles sucht das Simon-Wiesenthal-Zentrum den einstigen KZ-Arzt Aribert Heim. Die Nummer eins auf der Liste der meistgesuchten Mörder des Nazi-Regimes war für seinen Sadismus bekannt.

Peter Burghardt

Deutsche Vergangenheit ist reichlich vertreten im Süden Chiles und Argentiniens. Auch in der chilenischen Hafenstadt Puerto Montt gibt es einen Club Alemán, er liegt im Zentrum hinter der Uferpromenade am Pazifik, gegenüber steht ein Denkmal für die arbeitsamen Einwanderer aus Alemania. Auch Puerto Varas, Osorno oder Llanquihue besitzen deutsche Vereine, Schulen, Kirchen, Altenheime. Deutschstämmige führen Lokale wie "Weißes Haus" oder "Dresden", ähnlich ist es auf der anderen Seite der Anden, im argentinischen Ferienort Bariloche.

NS-Kriegsverbrecher: Efraim Zuroff, der Chef-Nazijäger des Simon Wiesenthal Centers, sucht in Chile nach dem NS-Verbrecher Aribert Heim.

Efraim Zuroff, der Chef-Nazijäger des Simon Wiesenthal Centers, sucht in Chile nach dem NS-Verbrecher Aribert Heim.

(Foto: Foto: dpa)

Namen wie Heim fallen da nicht auf, bis zu seiner Verhaftung machte auch ein Priebke wenig Eindruck. Seit 150 Jahren siedeln Familien aus dem Schwarzwald, Sachsen oder dem Taunus an diesen Bergen, Wiesen und Seen, die aussehen wie im Allgäu oder der Schweiz, bloß mit Vulkanen und umgekehrten Jahreszeiten.

Teutonische Refugien in Südamerika

Henry Scholtbach kommt aus dem kühlen Juliregen in den Deutschen Verein zu Puerto Montt, auf der Karte stehen Kasseler und Sauerkraut, aber auch Ceviche und Empanadas. Es hat sich vieles vermischt mit den Generationen, selbst in diesem teutonischen Refugium mit Holzvertäfelung und Heimatbildern, dem Scholtbach, 68, seit 25 Jahren vorsteht. Der Nachfahre von Einwanderern aus Magdeburg spricht besser Spanisch, doch sein Deutsch ist fast perfekt. 90 Mitglieder hat dieser Club Alemán noch. Sie spielen Skat und pflegen einen Damenkreis.

Für das Fest nach der Renovierung wurde ein Video von Heino besorgt. Die Räume werden auch vermietet, 1999 gründete sich hier eine rechtsradikale Splitterpartei. Ansonsten will man von Politik nichts wissen, von düsteren Geschichten noch weniger. Ein alter Kriegsverbrecher namens Aribert Heim werde gesucht, genannt "Doktor Tod" und "Metzger von Mauthausen"? "Nie gehört", sagt Scholtbach, "interessiert uns auch nicht. Es wurde wegen dieses Krieges genug gelitten. Solche Leute liegen eh schon unter der Erde."

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Finale Jagd nach Doktor Tod

Das bezweifelt Efraim Zuroff. Nach seinen Recherchen lebt "Doktor Tod" noch, möglicherweise in dieser Region. Deshalb macht sich der Fahnder des Simon-Wiesenthal-Zentrums aus Jerusalem auf die weite Reise. Er will in Puerto Montt, Bariloche und auch Santiago de Chile, Valparaiso und Buenos Aires für sein letztes großes Ziel sensibilisieren - unter anderem mit der Aussicht auf eine Belohnung von 310.000 Euro.

So viel versprechen seine Organisation, Deutschland und Österreich für die Ergreifung von Dr. Aribert Ferdinand Heim, geboren 1914 in Bad Radkersburg, 1941 Arzt im Konzentrationslager von Mauthausen und seit 46 Jahren auf der Flucht. Er ist die Nummer eins auf der Liste der meistgesuchten Mörder des Naziregimes. Zuroff wird gemeinsam mit einem Filmteam bei Behörden vorsprechen, Interviews geben und Anzeigen schalten. Ende 2007 war er schon einmal in südamerikanischen Hauptstädten, diesmal geht es auch in die verdächtige Provinz. Er bleibt bei dieser Spur am Ende der Welt. Er sagt: "Wir halten die Sache am Laufen."

Die Jagd nach "Mini-Mengele"

Die Zeit drängt, das Manöver gehört zur sogenannten Operation Last Chance des Wiesenthal-Zentrums. Sollte Heim noch am Leben sein, dann ist er am 28. Juni 94 Jahre alt geworden. Eine geruhsame Pension wollen ihm die Verfolger nicht gönnen. Der Österreicher und spätere Deutsche trat 1938 der SS bei, zwischen 8. Oktober und 29. November 1941 brachte er im KZ Mauthausen dann binnen sieben Wochen mehr als 500 Häftlinge um. Seinen Opfern injizierte der Sadist Benzol, Benzin oder andere Gifte und beobachtete mit der Stoppuhr, wie sie qualvoll starben. Schädel soll er zu Schrumpfköpfen ausgekocht haben.

Efraim Zuroff nennt ihn "Mini-Mengele". Der Israeli mit Geburtsort New York will nicht nur Heims Leiche entdecken wie 1985 die von Joseph Mengele an einem brasilianischen Strand. Er jagt nach einem Phantom, das man einst mühelos hätten finden können.

Nach dem Krieg wurde der Schlächter sogar kurz festgenommen und wieder freigelassen. Er spielte laut den Ermittlern Eishockey in Bad Nauheim und praktizierte in Mannheim und Baden-Baden. Nach einem österreichischen Haftbefehl 1961 verschwand Heim 1962 - zuständiger Innenminister am Fluchtort Baden-Württemberg war der vormalige Nazi-Richter Hans Filbinger.

In Deutschland bekam er zunächst bloß eine Geldstrafe, ehe ihn auch die deutsche Staatsanwaltschaft zur Fahndung ausschrieb. Justiz und Politik hatten es nie eilig mit diesem Fall. Mittlerweile ist Interpol tätig, Spezialisten des Stuttgarter Landeskriminalamtes haben sich auf Heims Fährte gesetzt. Die war lange unklar, trotz der auffälligen Gestalt der Zielperson. 1,90 Meter groß, V-förmige Narbe am rechten Mundwinkel, Schuhgröße annähernd 50.

Auf Steckbriefen zeigt ein Foto von 1959 Heim mit Fliege, daneben eine Simulation, wie er als Greis aussehen könnte. In Spanien und Uruguay soll er untergetaucht sein. Jetzt möchte Efraim Zuroff diese Bilder besonders in Puerto Montt und Bariloche publik machen. Er ist sich "ziemlich sicher", dass sich der Gesuchte dort irgendwo verbirgt.

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Finale Jagd nach Doktor Tod

Es gibt allerlei Heims in dem Gebiet, aber die sind anderer Herkunft. Der Schlüssel zu dem Rätsel könnte seine uneheliche Tochter Waldtraud B. sein: Sie wohnt mit einem chilenischen Geschäftsmann in Puerto Montt. Die Familie besitzt außerdem Adressen weiter nördlich in Valparaiso und Viña del Mar. Sie bestreitet jeden Kontakt zu ihrem Vater. Die beiden Söhne in Baden-Baden und Heidelberg beteuern, Heim sei 1993 an Krebs gestorben; in Argentinien. Ein früherer israelischer Offizier wiederum behauptet, man habe Heim 1982 in Kanada gekidnappt und exekutiert.

Zweifel am angeblichen Tod Heims

Angehörige haben sich allerdings in Widersprüche verwickelt. Weiteres Indiz ist Heims Berliner Bankkonto mit 1,2 Millionen Euro. Die Erbschaft hätte nach Vorlage eines Totenscheines reklamiert werden können. "Eine Million verschenkt man nicht", glauben deutsche Kriminalisten, auch wird Heim weiterhin beim Finanzamt geführt. "Es geschehen seltsame Dinge", sagt Zuroff. Einzelheiten sind geheim.

Er hat Südamerika im Blick, einen Klassiker für braune Schergen. Es braucht da keine überdrehten Verschwörungstheorien wie jene, wonach Hitler im U-Boot an der patagonischen Küste gelandet sei. Sicher ist, dass Adolf Eichmann 1960 in Buenos Aires entführt wurde, angeblich von Israels Geheimdienst Mossad, und 1962 nahe Tel Aviv gehängt. In Argentiniens Hauptstadt lebte auch Goebbels' Privatsekretär Wilfred von Oven, er soll gerade gestorben sein. Mengele ertrank in Brasilien.

Klaus Barbie, der "Schlächter von Lyon", wurde 1983 in Bolivien verhaftet. Walter Rauff, Erfinder der mobilen Gaskammern, verschied 1984 in Santiago de Chile; das deutsche Auslieferungsgesuch lehnte das Pinochet-Regime ab. SS-Killer Erich Priebke leitete unter richtigem Namen jahrelang die deutsche Schule in Bariloche. Erst 1995 wurde er nach Italien überstellt. "Pakt des Schweigens" heißt ein Film über ihn und seine Mitwisser in Argentinien. Und jetzt ein weiterer Pakt des Schweigens?

Der zähe Kampf mit den Behörden und der Ignoranz

Politisch haben sich die Zeiten geändert, das ist Zuroffs Hoffnung. Nazifreundliche Diktatoren sind verschwunden, Chile und Argentinien sperren zögerlich Folterknechte ein. Das deutsche Rechtshilfegesuch in der Causa Heim aber wurde in Chile bislang nicht beantwortet. Die Recherche ist ähnlich schleppend wie im Kriminalfall der deutschen Horror-Sekte Colonia Dignidad in den chilenischen Anden.

Und der Richterin in Baden-Baden wirft Efraim Zuroff vor, sie lasse die Telefone von Heims Angehörigen nicht abhören, wie bei dringendem Verdacht üblich. Er wirbt bei argentinischen und chilenischen Dienststellen um Zusammenarbeit. "Wir müssen alle ins Boot kriegen", sagt Jäger Zuroff. "Am besten wäre es", scherzt er, "Heim würde mich vom Flughafen abholen."

Vermutlich wird ihn niemand abholen. Sein Anliegen ist kein öffentliches Thema. "Sind Sie Jude?", fragt misstrauisch ein Historiker, den die Lokalzeitung Llanquihue empfohlen hatte. "Wie schreibt sich Wiesenthal?", erkundigt sich das örtliche Blatt in Puerto Varas.

Im Deutschen Klub dort berichtet der Schatzmeister, man feiere Pinochets Geburtstag, "Pinochet hat das Land gerettet" - von einem Herrn Heim habe er nur in der Zeitung gelesen. Henry Scholtbach vom Club Alemán in Puerto Montt sagt, er kaufe die Zeitung hauptsächlich wegen der Todesanzeigen. Die von Aribert Heim wird kaum je erscheinen.

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