Haushaltsdebatte in Düsseldorf:Opposition kritisiert NRW-Chef Wüst für seinen Schuldenhaushalt

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Wird heftig kritisiert wegen der Haushaltspolitik seiner Regierung: Hendrik Wüst (CDU), Ministerpräsident von Nordrhein-Westfalen. (Foto: dpa)

Eine schwarze Null hatte die schwarz-grüne Regierung in Nordrhein-Westfalen für das laufende Haushaltsjahr angekündigt – tatsächlich fehlen 1,2 Milliarden Euro. SPD und FDP werfen der Koalition Planlosigkeit vor.

Von Kathrin Müller-Lancé, Christian Wernicke, Düsseldorf

Hendrik Wüst ist da. Immerhin. Nordrhein-Westfalens Ministerpräsident sitzt pünktlich auf seinem Sessel, direkt neben dem Rednerpult. So wie es das parlamentarische Protokoll verlangt, wenn die Opposition eine Sondersitzung des Landtags verlangt.

Eigentlich hatte der 48-Jährige sich diesen Montagnachmittag ganz anderswo ausgemalt – nicht im blauen Anzug im Hohen Haus am Rhein, sondern 130 Kilometer weiter östlich im Land, in einem „Stall der Zukunft“: Im westfälischen Bad Sassendorf hatte Wüst nachhaltige Herdenhaltung bestaunen wollen, mit „mehr Platz, mehr Licht, mehr Tierwohl“ für Ferkel, Säue und Eber. Stattdessen nun: Haushaltsdebatte. Wüst ahnt: Ihm droht eine Generalabrechnung, das wird unangenehmer als im Schweinestall.

Denn Wüsts schwarz-grüne Regierung macht neue Schulden, zur Überraschung auch seiner Gefolgsleute im Plenarsaal. 1,2 Milliarden Euro fehlen, weil die Wirtschaft lahmt und die Steuern weniger sprudeln. 1,2 Milliarden, das ist – gemessen an einem Jahreshaushalt von etwa 100 Milliarden im Jahr – ein Prozent. Nicht viel also. Allerdings hatte allen voran Wüsts CDU immer wieder geschworen, man wolle auskommen mit dem Tribut der Bürger. Und 2024 eine schwarze Null schreiben. Dann jedoch vollzog Wüsts getreuer Finanzminister Marcus Optendrenk (CDU) vorigen Mittwoch eine jähe Kehrtwende: Das Geld reiche nicht, neue Kredite brauche das Land. Die Opposition tobte, und weil Optendrenk obendrein seinen neuen Kurs zunächst einem Kreis von Journalisten anvertraute, tobten SPD und FDP doppelt: Wüsts Regierung mache Schulden und sei schuldig – „der Missachtung des Parlaments“ nämlich.

Während sein Finanzminister spricht, tippt Wüst ins Diensthandy

Zunächst bleibt alles ruhig im Landtag. Kleinteilig referiert Minister Optendrenk die Sachzwänge, nur ein, zwei Mal polemisiert er gegen die Bundesregierung als eigentlich Verantwortliche: Die neuen Schulden seien doch „das unmittelbare Ergebnis der Politik der Regierung Scholz“. Solche Schuldzuweisungen nach Berlin beherrscht Wüst besser. Und lauter. Aber heute schweigt er, liest in einer Briefmappe, tippt Nachrichten ins Diensthandy.

Zwei Stunden lang wird Wüst diese gelassene Attitüde pflegen. Auch und gerade, wenn der Sturm losbricht. Etwa, als SPD-Fraktionschef Jochen Ott nun lospoltert, die Regierung habe versucht, „ein Milliardenloch zu vertuschen“. Die schwarz-grüne Regierung habe „keinen Plan“ mehr, wie sie ihre Wahlversprechen von 2022 noch umsetzen wolle: mehr Geld für Kitas, Schulen oder Straßen: „Ihr Koalitionsvertrag ist totes Papier!“ Ott meint nicht Optendrenk, den Kassenwart. Sondern Wüst, den Chef. „Wie der Kronprinz in einer konstitutionellen Monarchie“ eile der Ministerpräsident von Fototermin zu Fototermin: „Aber Sie sind der Regierungschef, Sie tragen die Verantwortung.“ In Anspielung auf Wüsts Ambitionen, vielleicht doch noch Kanzlerkandidat der Union zu werden, stichelt der Sozialdemokrat: „Sie haben für sich selbst hochgesteckte Ziele. Für das Land haben Sie keine.“

Tatsächlich gab es ja Warnungen an Rhein und Ruhr, dass das Geld ausgeht. Schon im März musste die Regierung ein Hilfsprogramm für Waldbesitzer stoppen, um von Trockenheit und Borkenkäfern verwüstete Flächen wiederaufzuforsten. Gleichzeitig darbte man im Innenministerium: Bei Bewirtungen gab’s nur noch Getränke – Speisen verboten. Polizei und Verfassungsschutz wurden angehalten, auf Dienstreisen zu verzichten, per Videoschalte zu konferieren und innerstädtisch Bus, Bahn oder Fahrrad zu nutzen – statt Dienstwagen.

Der Rechtsstaat an Rhein und Ruhr wird auf Schmalkost gesetzt

Überall nagt die Geldnot: Das NRW-Justizministerium zum Beispiel wird nach SZ-Informationen mehrere Hundert Stellen für Referendare streichen – und so selbst seine chronische Personalnot verschärfen: Schon heute fehlen im Westen bei fast jeder Staatsanwaltschaft und an den meisten Gerichten Strafverfolger und Richter. Die dritte Gewalt spart am eigenen Nachwuchs, der Rechtsstaat an Rhein und Ruhr wird auf Schmalkost gesetzt.

Dennoch hatte der CDU-Finanzminister Optendrenk monatelang nichts wissen wollen von neuen Schulden. Zwar leide der Westen mit seiner oft energieintensiven Industrie unter einem „ganz schwachen Wirtschaftswachstum“, aber das sei nun mal „keine Notlage“, sprach Optendrenk am 24. April im Düsseldorfer Landtag: „Damit können wir keine Verschuldung des Landes begründen.“

Nun also: Kommando zurück. Das empörte am Montag auch Hennig Höne, den FDP-Fraktionschef. Anders als die SPD, die zu gern mehr Investitionen etwa durch eine Reform der Schuldenbremse finanzieren möchte, fordert der Liberale einen strikten Sparkurs. Aber genau wie sein Kollege Ott zielt Höne schnell auf den Mann, der fünf, sechs Meter rechts vom Rednerpult gerade wieder an seinem Handy spielt: Für Wüst hätten „die Schuld immer andere“, schimpft Höne. „Wir haben hier eine Landesregierung von Verantwortungs-Flüchtlingen.“ Wüst setze auf Entpolitisierung und darauf, dass die Menschen „mit Politik nix am Kopp haben“ wollten, aber: „Der Ministerpräsident des größten Bundeslandes selbst hat mit Politik nix am Kopp!“

Nach zweieinhalb Stunden ist das Gewitter vorbei. Wüst flüstert mitunter mit Ministerkollegen, dem Landtag hat er nichts zu erwidern. Auch nicht, als der Sozialdemokrat Ott erneut ans Mikro stürmt und seine Bilanz des Wüst’schen Schweigens zieht. „Sie sind der Prinz von Nordrhein-Westfalen. Für Führungsaufgaben haben Sie sich heute endgültig disqualifiziert.“

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