NRW-Wahl und Euro-Krise:Mutti Merkel als Trümmerfrau

Probleme allerorten: Multimilliardenpakete zum Schutz des Euro, keine Mehrheit im Bundesrat, ein kranker Finanzminister und Kritik aus den eigenen Reihen. Auf die Kanzlerin wartet viel Arbeit.

Matthias Kolb

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Merkel, dpa

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Dieser 9. Mai 2010 war ein schwarzer Tag für Bundeskanzlerin Angela Merkel: Die schwarz-gelbe Koalition hat in Nordrhein-Westfalen eine klare Niederlage erlebt, damit ist die Mehrheit im Bundesrat futsch. Doch Merkel musste sich das ganze Wochenende darum kümmern, den Euro zu retten. Stress mit der FDP, Kritik aus den eigenen Reihen, der Finanzminister im Krankenhaus und ein selbstbewusster Sigmar Gabriel. Eines ist klar: Die nächsten Tage werden für die CDU-Vorsitzende nicht leichter. sueddeutsche.de zeigt in einem Überblick die Baustellen der Kanzlerin.

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Merkel, Sarkozy, Reuters

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Die Krise des Euro

Es sind Summen, die jede Vorstellungskraft übersteigen: 750 Milliarden Euro wollen die EU-Staaten bereitstellen, um die Gemeinschaftswährung zu retten. Es gelte, das "Wolfsrudel der Spekulanten" zu stoppen, die schwächere Länder zerreißen würden - so drückte sich der schwedische Finanzminister aus. Merkel bleibt gewohnt sachlich: Das Hilfspaket sei alternativlos, erklärte sie am Montagmorgen. "Wir schützen das Geld der Menschen in Deutschland", betont sie. Das Paket sei notwendig, um die "Zukunft des Euro zu sichern". Dass die Bundesrepublik im Ernstfall für 123 Milliarden Euro bürgen muss, muss die Regierungschefin nun immer wieder erklären - womöglich gegen die Meinungsmacht der großen Boulevardmedien.

Zugleich bedeutet die Brüsseler Entscheidung, dass ein neues Gesetz erarbeitet werden muss - Merkel hat dazu die Fraktionschefs am Nachmittag zu einem Gespräch eingeladen. Beim Griechenland-Paket war es ihr nicht gelungen, einen parteiübergreifenden Konsens zu erreichen und SPD-Chef Sigmar Gabriel wirkt nach dem Wahlergebnis seiner Partei in NRW erstaunlich selbstbewusst. Dabei haben die Genossen wieder verloren. Zudem könnten Stimmen laut werden, dass Merkel das Parlament entmachte - beziehungsweise, dass es nur noch zum Abnicken benötigt wird.

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Merkel, Schäuble, dpa

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Die Personalie Wolfgang Schäuble

Er war ihr wichtigster Minister im Kabinett und sollte das Geld zusammenhalten: Finanzminister Wolfgang Schäuble. Doch der einstige CDU-Chef ist politisch und gesundheitlich angeschlagen - intern wird seine Kompetenz in Frage gestellt und im Winter fiel er nach einer Routineoperation wochenlang aus. Am Sonntag musste er in Brüssel ins Krankenhaus gebracht werden - das wohl wichtigste Treffen der EU-Finanzminister seit Jahren wurde unterbrochen, bis Innenminister de Maizière eingetroffen war, um die deutsche Delegation zu leiten.

Europa kämpft ums Überleben: Da ist der Eindruck verheerend, der Finanzminister der größten Volkswirtschaft sei zu schwach für die kräftezehrenden Verhandlungen. Eine Nachfolgedebatte kommt für Merkel zum falschen Zeitpunkt, doch natürlich tauchen Namen wie Roland Koch auf. Ihr Sprecher wies am Montag Spekulationen über eine bevorstehende Ablösung von Schäuble zurück.

Dem Minister geht es inzwischen wieder besser - er wurde am Mittag aus der Klinik entlassen und flog nach Berlin zurück. Erwartet wird, dass Schäuble am Dienstag auch an der Sondersitzung des Kabinetts zum Euro-Hilfspaket teilnimmt.

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Merkel, NRW-Wahl, Reuters

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Mehrheit im Bundesrat ist weg

Fünf Jahre hatte die CDU mit der FDP in Nordrhein-Westfalen regiert, doch die Wähler waren offensichtlich nicht zufrieden: Die Christdemokraten mussten hohe Verluste hinnehmen. Ob man das Ergebnis nun wie FDP-Chef Guido Westerwelle als "Warnschuss" oder als Denkzettel ansieht: Die Mehrheit in der Länderkammer ist nun passé und viele Projekte der schwarz-gelben Koalition sind kaum mehr durchsetzbar. Das gilt nicht nur für die Kopfpauschale im Gesundheitswesen oder die längeren Laufzeiten für Atomkraftwerke, sondern vor allem für die Steuersenkungen.

Durch die neue Machtverteilung steigt der Einfluss der CDU-Ministerpräsidenten - und diese fordern Merkel auf, gegenüber den Liberalen mehr Härte zu zeigen. Am vergangenen Donnerstag, kurz vor der Sitzung des Bundesrats, hatte etwa der Hesse Roland Koch gefordert, die Kanzlerin müsse nach dem Wahltag in NRW klar sagen, dass angesichts der gigantischen Finanznöte von Ländern und Kommunen eine Steuersenkung in dieser Wahlperiode unmöglich geworden sei. Koch ist nicht allein: Mehrere CDU-Kollegen hätten ihn unterstützt, der Hamburger Ole von Beust ließ sich am Wochenende gar mit den Worten zitieren, im Moment wären Steuersenkungen "eine grausige Vorstellung", vor allem für Länder und Kommunen. Merkel hatte damals nach Informationen der Süddeutschen Zeitung dafür plädiert, die Liberalen zu schonen. Sie fürchtete, dass die sich abzeichnende Niederlage "Urängste" bei der FDP auslösen könnte - und sich der kleine Partner wie eine Oppositionspartei gerieren würde.

Am Tag nach der Wahl verkündete die Kanzlerin schließlich, worauf viele gewartet hatten: "Steuersenkungen werden auf absehbare Zeit nicht durchsetzbar sein."

Foto: Reuters/Angela Merkel hält im Sommer 2009 im Rahmen der Feierlichkeiten "60 Jahre Bundesrat" eine Rede in Völklingen.

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Streit mit den kleinen Partnern

Es sind Verbündete, um die man Angela Merkel nicht beneidet: Eine angeschlagene FDP, deren Vorsitzender Westerwelle in der Kritik steht und wie kein zweiter Politiker polarisiert. Und eine CSU, deren Chef Horst Seehofer weiterhin unberechenbar scheint. Zwar gab sich Westerwelle in den ersten Reaktionen zerknirscht und versprach, die Koalition werde mit "harter Arbeit" wieder Vertrauen gewinnen. Er kündigte an, dass die Liberalen Schlussfolgerungen ziehen würden - allerdings verschwieg er, wie diese aussehen. In der Union ist die Verärgerung über die Verbal-Eskapaden des Außenministers groß: Sie machen seine Aussagen über "spätrömische Dekadenz" für das desolate Erscheinungsbild der Koalition mitverantwortlich. Ob sich Westerwelle nun auf seine diplomatischen Aufgaben konzentrieren und seine Partei aus den Steuersenkungsträumen aufwecken wird, ist völlig unklar. Denkbar ist auch eine weitere Profilierung auf Kosten des Koalitionspartners - der "Lautsprecher" Westerwelle könnte sich also wieder zeigefingerfuchtelnd zu Wort melden.

Ob sich Angela Merkel in den stürmischen Zeiten auf den CSU-Chef verlassen kann, ist eher unwahrscheinlich. Zum einen ist er nicht für seine Beständigkeit bekannt und zum anderen hat sich Horst Seehofer schon positioniert. Der Ingolstädter hielt noch am Montagmorgen an Steuersenkungen im Grundsatz fest. "Wir können jetzt nicht einfach sagen, wir vergessen die ersten fünf Seiten des Koalitionsvertrages", sagte der bayerische Ministerpräsident dem Handelsblatt. Am Montagmittag verabschiedete sich Seehofer dann nach einer Sitzung des CSU-Vorstands vom Ziel einer raschen Steuerentlastung. Da sich die Mehrheitslage im Bundesrat durch die Wahl auf jeden Fall verändern werde, "sehen wir auf absehbare Zeit leider keine Chance der Durchsetzbarkeit einer Steuerentlastung".

Die Kanzlerin wird also auch immer wieder mit München telefonieren müssen, um zu erfahren, was der Oberbayer gerade denkt.

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Merkel, NRW-Wahl, AP

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Debatte um Führungsstärke

Willy Wimmer war mal Staatssekretär im Verteidigungsministerium und hat heute nichts mehr zu sagen, aber wenn ein CDU-Mann den Rücktritt der Kanzlerin fordert, dann horcht man auf. Die Niederlage sei das Werk von Merkel und FDP-Chef Westerwelle, sagte er der Leipziger Volkszeitung. "Rücktritte sind unausweichlich, soll ein dauerhaftes Siechtum verhindert werden," Diese wird Angela Merkel wahrscheinlich ignorieren, doch die Diskussion um ihren Führungsstil ist wieder mal voll entbrannt. Der Vorsitzende der CDU/CSU-Mittelstandsvereinigung, Josef Schlarmann, gibt ihr eine Mitschuld an der Wahlniederlage in NRW. "Die Strategie des Nichtstuns ist gescheitert", sagte Schlarmann der Financial Times Deutschland und fordert unverdrossen Steuersenkungen.

Die Stimmen, Merkel müsse der CDU wieder eine konservativere Ausrichtung geben, werden zunehmen. Der Journalist Josef Joffe nannte die Merkel-CDU, die sich stärker der Mitte geöffnet hat, im Tagesspiegel jüngst NSU - und diese Neo-Sozialdemokratische Union ist bei den traditionellen CDU-Anhängern wenig beliebt. Der Erlanger Politikwissenschaftler Roland Sturm sagte im Interview mit sueddeutsche.de: "Fakt ist: Merkels bisherige Taktik ist nicht aufgegangen. Die lautet: Die CDU nach links öffnen, neue Wählerschichten erreichen und das alte Klientel behalten." Der Parteienexperte fasst zusammen: "Viele frühere Unionswähler fühlen sich nicht mehr gut aufgehoben in der Merkel-CDU, aber finden sich auch nicht in der FDP mit ihrem unbeliebten Parteichef Guido Westerwelle wieder."

Foto: AP/Angela Merkel hält 2008 auf dem Parteitag in Stuttgart eine Rede.

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Die Symbolkraft der Niederlage

Vor fünf Jahren begann mit dem Sieg von Jürgen Rüttgers der Niedergang von Rot-Grün: Bundeskanzler Schröder rief Neuwahlen aus, bei der die Union zur stärksten Kraft wurde. Später siegte die CDU gemeinsam mit den Liberalen bei vielen Wahlen und konnte 2009 auch im Bund die "Wunschkoalition" eingehen - Rot-Grün regiert nur noch in der Hansestadt Bremen. Nun könnte die krachende Niederlage der Rüttgers-CDU in NRW im Mai 2010 wieder eine Wirkung weiter über den Tag hinaus erzielen - nämlich die Entzauberung des bürgerlich-liberalen Bündnisses und des Aufstiegs Angela Merkels zur mächtigsten Frau der Welt/Europas.

Die nächsten Tage und Wochen werden keine leichten sein für die Bundeskanzlerin. Dennoch zeigt ihre bisherige Karriere: Meist war es ein Fehler, Angela Merkel zu unterschätzen.

Foto: dpa/Angela Merkel mit Jürgen Rüttgers bei einer Veranstaltung in Wuppertal - kurz vor der Landtagswahl in NRW.

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