NRW: Vorwürfe gegen Justizministerin:Entbindung in Fesseln?

Rüttgers' Justizministerin unter Druck: Ärzte und Amnesty International beklagen, schwangere Häftlinge würden menschenunwürdig behandelt - dabei hatte Müller-Piepenkötter unlängst deren "psychosoziale Betreuung" betont.

Die Landesjustizministerin von Nordrhein-Westfalen, Roswitha Müller-Piepenkötter, sorgt unfreiwillig wieder für Schlagzeilen: Erneut machen Vorwürfe über die Zustände in den Gefängnissen ihres Bundeslandes die Runde. Die Frankfurter Rundschau berichtet, eine Gruppe von Ärzten, Psychologen, Hebammen und Hilfseinrichtungen wirft der Landesregierung vor, menschenunwürdige Haftbedingungen für schwangere Frauen zu dulden. Auch Amnesty International prangert die Behandlung weiblicher Häftlinge an.

NRW-Justizministerin Müller-Piepenkötter; dpa

Neue Vorwürfe gegen NRW-Justizministerin Müller Piepenkötter: Schwangere Häftlinge sollen in den Gefängnissen des Bundeslandes menschenunwürdig behandelt worden sein.

(Foto: Foto: dpa)

Die FR zitiert Monika Kleine, Geschäftsführerin des Sozialdienstes katholischer Frauen, in Köln: "Wir wissen auch von Ausnahmefällen, in denen Schwangere gefesselt entbinden mussten."

Dagegen sagte eine Justizsprecherin in Düsseldorf, ein derartiger Fall sei auch bei einer aktuellen Befragung aller infrage kommenden Gefängnisse nicht bekanntgeworden. Schwangere Gefangene würden "in einem hohen Maße betreut". In der Regel werde ihnen für die Entbindung eine Haftunterbrechung gewährt.

Wo die Schwere der Tat oder des Tatvorwurfs dies nicht zulasse, finde die Entbindung in Begleitung von Beamtinnen in normalen Kliniken statt. Es könne durchaus angebracht sein, schwangere Gefangene auf dem Weg zu Untersuchungen außerhalb der Gefängnisse zu fesseln. Dies werde im Einzelfall entschieden.

Roswitha Müller- Piepenkötter selbst hatte noch unlängst die Betreuung von schwangeren strafgefangener Frauen hervorgehoben. "Neben den gesundheitlichen Vorsorgeuntersuchungen und der Geburtsvorbereitung legen wir unsere Anstrengungen auf eine durchgängige psychosoziale Betreuung der Schwangeren im Vollzug", hatte die christdemokratische Justizministerin Mitte März betont.

Die Generalsekretärin von Amnesty International in Deutschland, Monika Lüke, sprach in der FR von einem Verstoß "gegen das Verbot der erniedrigenden und unmenschlichen Behandlung".

Weiter kritisierte Lüke: "Es verletzt massiv die Privatsphäre, wenn ein männlicher Vollzugsbeamter mit ins gynäkologische Behandlungszimmer kommt." Zudem würden Müttern ihre Kinder sofort nach der Geburt abgenommen, die Kinder kämen entweder in eine Pflegefamilie aus dem Kreis der Angehörigen oder würden zur Adoption freigegeben.

Der Gynäkologe Gerd Eldering sagte dem Blatt, man beobachte die Zustände in der Justizvollzugsanstalt Köln seit zwei Jahren. Die Behörden mühten sich zwar, allzu große Härten für Schwangere zu vermeiden. Gleichwohl wisse man von etlichen Frauen, denen ihr Kind direkt nach der Geburt weggenommen worden sei. Das sei in anderen Frauengefängnissen des Bundeslandes nicht anders.

Aus dem Justizministerium hieß es, man habe sich 2003 gegen Mutter-Kind-Einrichtungen im geschlossenen Vollzug entschieden, da dies nicht kindgerecht sei. In den Fällen, in denen etwa schwer drogenabhängige Frauen nicht in den offenen Vollzug verlegt werden könnten, würden die Neugeborenen von den Müttern getrennt und Besuchsregelungen getroffen. Es sei auch nicht im Kindeswohl, die Kinder für die Taten ihrer Mütter mitzubestrafen.

Die Schwangeren-Causa wäre nicht der erste Justizskandal der CDU-Politikerin. Eine Fülle von Pannen und dramatischen Zwischenfällen in NRW-Gefängnissen fallen in Müller-Piepenkötters Amtzeit; sie sind der Minister zumindest teilweise anzulasten.

Auf der nächsten Seite: Seit 2006 steht die Ministerin immer wieder in der Kritik - eine Chronologie der Missstände.

Foltermord und Familiendrama

Seit 2006 steht Justizministerin Roswitha Müller-Piepenkötter immer wieder in der Kritik. Eine Chronologie.

November 2006: In der Justizvollzugsanstalt Siegburg wird ein 21 Jahre alter Häftling in seiner Gefängniszelle von drei Mitinsassen zu Tode gequält. Ein Parlamentarischer Untersuchungsausschuss fördert dramatische Zustände hinter den Gefängnismauern zu Tage. Die SPD kritisiert, Müller-Piepenkötter habe das Jugendgefängnis "volllaufen und absaufen" lassen. Die Ministerin habe außerdem erst zwei Tage nach der Tat reagiert, bis zur Versetzung des zuständigen Gefängnisleiters seien acht Tage vergangen. "MüPi" verteidigt sich, sie habe die Erwartungen an eine Ministerin erfüllt: "Vollständige Information, sorgfältige Analyse und eindeutige Maßnahmen."

Dezember 2006: Einen Monat nach dem Mord von Siegburg gerät Müller-Piepenkötter wegen ihres Buches "Auto kaufen und verkaufen" unter Druck. Auf dem Rücken des Rechtsratgebers wirbt die Justizministerin mit ihrem Amt - das ist Landtagsabgeordneten per Gesetz untersagt. "MüPi" findet die Angelegenheit unproblematisch: "Das Ministeramt gehört zu meinem Lebenslauf, ist die aktuelle Berufsbezeichnung" (taz).

März 2007: Der 39-Jährige Erol P. lauert in Mönchengladbach seiner Ehefrau und seiner Tochter auf und erschießt beide. Zu diesem Zeitpunkt wird er bereits per Haftbefehl gesucht. Dennoch wird Erol P. nicht festgenommen, als er kurz vor der Tat an einem Sorgerechtsprozess teilnimmt. Müller-Piepenkötter räumt ein, es bedrücke sie, "dass die Möglichkeit bestanden hätte, den Tatverdächtigen (...) festzunehmen. Hierdurch hätte die grausame Tat verhindert werden können."

November 2007: Bei der Aufklärung eines Ausbruchs aus der Krefelder JVA will Müller-Piepenkötter eklatante "Sicherheitslücken" in den Gefängnissen entdeckt haben, die sie alleine der rot-grünen Vorgängerregierung anlastet. SPD und Grüne hätten "so viel Stacheldraht wie möglich" entfernen lassen - auch in Krefeld, wo ein Häftling über die Mauer kletterte und floh. Als "Sofortmaßnahme" lässt sie die gesamte Außenmauer mit messerscharfem Nato-Draht sichern - später stellt sich heraus, dass die Mauern der JVA zu keinem Zeitpunkt mit Stacheldraht versehen waren.

März 2008: In der JVA Gelsenkirchen werden zwei Häftlinge von Mitinsassen körperlich und sexuell misshandelt. Ein 24-Jähriger wird aufgefordert, einen Abschiedsbrief zu schreiben. Dann wird er gezwungen, Selbstmord zu begehen. Die Opposition wird erst im Dezember auf die Fälle aufmerksam und wirft Müller-Piepenkötter vor, die Geschehnisse "vertuscht" haben zu wollen. Das Justizministerium hält in einer Stellungnahme dagegen, die Vorgänge seien in einer "Jahresauflistung" für 2008 an die Vollzugskommission des Landtags gemeldet worden. Die Opposition versuche, Gewaltübergriffe unter Gefangenen zu "skandalisieren".

November 2009: Die zu lebenslänglicher Haft mit Sicherungsverwahrung verurteilten Schwerverbrecher Peter Paul Michalski und Michael Heckhoff gehen unbehelligt durch das Gefängnistor der und setzen sich in einem Taxi ab. Beide sind bewaffnet. Ihre Flucht quer durch NRW hält die Polizei in Atem. Bei den Ermittlungen stellt sich heraus, dass ein Vollzugsbeamter den Kriminellen zur Flucht verhalf. Müller-Piepenkötter gibt zu Protokoll, "eine solche Tat" habe sich "niemand vorstellen können". Einen Rücktritt lehnt sie ab und betont: "Nie war der Justizvollzug in Nordrhein-Westfalen so sicher wie heute."

Dezember 2009: Es wird bekannt, dass Müller-Piepenkötter allen Justizmitarbeitern außer Richtern und Staatsanwälten den Zugang zum Internetportal des Westdeutschen Rundfunks (WDR) hat sperren lassen. Seit der Ausbruchsaffäre von Aachen hatten Justizbedienstete dort anonym Kritik an ihrer Chefin geübt. Der Personalrat des Ministerums beklagt "Methoden wie in China oder im Iran". Müller-Piepenkötter verkündet, die Sperre habe nichts mit der Kritik an ihrer Person zu tun. Grund sei vielmehr, dass Mitarbeiter im Dienst zu viel Zeit online verplempert hätten.

Januar 2010: Ein 17-Jähriger berichtet, im Gefängnis Herford von vier Mitgefangenen misshandelt worden zu sein. Das Justizministerium betont, seit 2007 sei die Zahl der Verdachtsfälle von 53 auf 26 im Jahr 2008 zurückgegangen. Die Opposition hält das für ein Eingeständnis der Ministerin, die Gewalt nicht stoppen zu können. Ebenfalls im Januar 2010 fliehen in Münster zwei Häftlinge durch ein vergittertes Oberlicht einer Toilette des Gefängnisses. Von dort rutschen sie an einer Regenrinne herunter ins Freie. Müller-Piepenkötter lässt daraufhin die Sicherheitsvorkehrungen in allen Haftanstalten überprüfen.

April 2010: In einem Gefängnis in Müller-Piepenkötters Wahlkreis Remscheid tötet ein 50 Jahre alter Insasse seine 46 Jahre alte Freundin. Die Frau hatte den zu lebenslanger Haft verurteilten Mörder in der Haftanstalt besucht. Das Paar traf sich in einer sogenannten Liebeszelle, wo der Insasse seine Lebensgefährtin tödlich verletzte und anschließend vergeblich versuchte, sich das Leben zu nehmen. Die Justizministerin reagiert diesmal zeitnah und verbreitet eine Erklärung: "Das Geschehen macht mich fassungslos."

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