Nordrhein-Westfalen:Dürfen Schüler in NRW bald länger schlafen?

Nordrhein-Westfalen: Eine Stunde länger schlafen fördere Motivation und Lernerfolg, sagen einige Wissenschaftler.

Eine Stunde länger schlafen fördere Motivation und Lernerfolg, sagen einige Wissenschaftler.

(Foto: Michael Gstettenbauer/Imago)

Die neue Schulministerin des schülerreichsten Bundeslandes hält einen Unterrichtsbeginn erst um neun Uhr für möglich. Alle Folgen hat sie vielleicht noch nicht bedacht.

Von Jana Stegemann , Düsseldorf

Der entscheidende Satz für Kinder, Eltern und Lehrkräfte steht auf Seite 61 im Koalitionsvertrag der neuen schwarz-grünen Landesregierung in Nordrhein-Westfalen: "Wir wollen den Schulen die Möglichkeit einräumen, durch Beschluss der Schulkonferenz den Schulbeginn auf bis zu neun Uhr festzulegen."

Dass der Unterricht im schülerstärksten Bundesland NRW eigentlich auch später beginnen könnte als bisher, ist eine Idee, die immer mal wieder auftaucht. Doch erst in der Pandemie hat das Land, um die Anreise der Lernenden in Bussen und Bahnen zu entzerren, Schulen erlaubt, die erste Stunde gestaffelt zwischen sieben und neun Uhr anzusetzen.

Jetzt hat die neue Schulministerin das Thema wieder aufgegriffen. In einem vieldiskutierten Interview mit der Rheinischen Post wurde Dorothee Feller (CDU) gefragt, was sie von der Idee des Bundesverkehrsministers hält, zugunsten einer Entlastung des öffentlichen Nahverkehrs den Schulbeginn zu flexibilisieren. Und Feller antwortete: "Wir haben im Zukunftsvertrag festgehalten, dass wir die Eigenverantwortung der Schulen grundsätzlich stärken wollen. Dazu gehört auch, dass wir ihnen die Möglichkeit geben wollen, den Schulbeginn auf bis zu neun Uhr festzulegen." Der derzeit geltende Runderlass regelt, dass der Unterricht zwischen halb acht und halb neun beginnen muss.

Doch die CDU-Politikerin erinnerte zugleich daran, dass dafür an jeder Schule ein Schulkonferenzbeschluss erforderlich wäre: "Weil in diese Entscheidung nicht nur die Verkehrsunternehmen und Kommunen, sondern auch die Eltern eingebunden werden sollen, die Familie und Beruf miteinander vereinbaren müssen."

Die Schulen in NRW haben andere Probleme

Feller hatte Ende Juni überraschend das schwierige Schulministerium übernommen. Ihre Vorgängerinnen Sylvia Löhrmann (Grüne) und Yvonne Gebauer (FDP) waren im Amt zu den unbeliebtesten Politikerinnen Nordrhein-Westfalens geworden, was die Abwahl ihrer jeweiligen Landesregierungen mitbeförderte. Die Angst der Parteien vor dem ungeliebten Schulministerium geht so weit, dass schon überlegt wurde, das Amt mit einem parteilosen Kandidaten zu besetzen. Auf Dorothee Feller lastet also auch ganz unabhängig von der Pandemie ein enormer Druck. Ihrem Land mangelt es an Tausenden Lehrkräften, nicht aber an maroden Schulen, die Digitalisierung hinkt Jahre hinterher.

Vor ihrer Berufung war die 2017 in die CDU eingetretene Juristin die erste Regierungspräsidentin von Münster. Ministerpräsident Hendrik Wüst (CDU) lobte die 56-Jährige, die auch ausgebildete Mediatorin ist, bei ihrer Vorstellung mit den Worten, ihr sei "keine Aufgabe zu groß". Auf SZ-Nachfrage, wie und wann Feller den späteren Schulbeginn umsetzen will, antwortete das Schulministerium allerdings: "Es liegt dafür kein Zeitplan vor."

Einige Wissenschaftler plädieren seit Langem für einen späteren Unterrichtsbeginn, ihre Studien lassen sich grob so zusammenfassen: Ein späterer Beginn käme dem Biorhythmus zugute, Kinder und Jugendliche bekämen mehr Schlaf, seien motivierter und könnten erfolgreicher lernen. Schon eine zusätzliche Stunde Schlaf könne viel bewirken.

Betreuungslücke, Personalmangel, Lehrerarbeitszeiten

Allerdings enthält ein späterer Unterrichtsbeginn auch sozialen Sprengstoff. Mütter und Väter, besonders Alleinerziehende, deren Jobs früh am Morgen beginnen, bräuchten für ihre Kinder eine zusätzliche Betreuung bis zur ersten Stunde - eine staatlich geschaffene Bredouille. Zudem sind es vor allem die nicht-akademischen Berufe, in denen die Arbeit früh beginnt oder in Schichten organisiert ist, sodass es bei einem späteren Schulbeginn ein Frühbetreuungskonzept geben müsste, gerade für jüngere Kinder. Doch schon jetzt fehlen überall in NRW Erzieherinnen, knapp 4400 Lehrerstellen sind unbesetzt, insbesondere an Brennpunktschulen.

Hendrik Wüst und seine neue schwarz-grüne Koalition sind hingegen angetreten mit dem Versprechen, 10 000 neue Lehrerstellen bis 2027 zu schaffen. Wie die besetzt werden sollen, ist unklar. Als Anreiz gilt, dass künftig Lehrkräfte aller Schularten das gleiche Einstiegsgehalt bekommen sollen. Bisher verdienen Lehrerinnen und -lehrer an Grund-, Haupt-, und Realschulen weniger als ihre Kollegen an Gymnasien. Bei letzteren herrscht, abgesehen vom Fach Mathematik, sogar eher ein Überangebot an Lehrkräften.

Die Vorsitzende der Schulleitungsvereinigung NRW, Antonietta Zeoli, sagte der Deutschen Presse Agentur, dass bei Fellers Vorstoß nicht nur die Betreuungssituation der Familien berücksichtigt werden müsse. Auch Aspekte wie das Raumangebot an Schulen und eine Flexibilisierung der Lehrerarbeitszeit wären mitzubedenken. Stefan Behlau, Landesvorsitzender des Verbandes Bildung und Erziehung, erinnerte zudem an die Schulwege: Gerade Schulen im ländlichen Raum müssten ihre Anfangszeiten eng mit benachbarten Schulen und den regionalen Verkehrsbetrieben absprechen, die wiederum nicht nur die Schulbusse, sondern in der Regel auch die Linienfahrpläne auf die Schulen abgestimmt hätten.

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