Süddeutsche Zeitung

Rechte in der Polizei:"Das Ende der Fahnenstange ist lange nicht erreicht"

100 Mitarbeiter der Polizei sowie weitere Personen im Innenministerium in NRW sind unter den Verdacht des Rechtsextremismus oder Rassismus geraten. NRW-Innenminister Reul betont: Es gehen stetig weitere Hinweise ein.

Von Jana Stegemann, Düsseldorf

Das Rechtsextremismus-Problem in der nordrhein-westfälischen Polizei ist offenbar deutlich größer als bislang bekannt: Zwischen Januar 2017 und September 2020 sind 100 Mitarbeiter der Landesbehörde unter den Verdacht des Rechtsextremismus oder Rassismus geraten. Zudem gebe es vier Verdachtsfälle im Innenministerium. Das sagte der nordrhein-westfälische Innenminister Herbert Reul (CDU) am Donnerstag im Innenausschuss des Landtags.

Gegen acht Polizeibeamte seien Ermittlungen wegen möglicher Nähe zur Reichsbürgerideologie eingeleitet worden; zudem gibt oder gab es 84 Disziplinarverfahren gegen Beamte wegen Hinweisen auf eine rechtsextreme Gesinnung. Von den 100 Verdachtsfällen seien 71 noch nicht abgeschlossen. In den 29 beendeten Verfahren seien acht disziplinar- und arbeitsrechtliche Maßnahmen verhängt worden. In den übrigen 21 Fällen hätten sich die Vorwürfe entweder nicht bestätigt, oder sie seien verjährt gewesen. In den Zahlen ist der Fall Mülheim  enthalten.

"Ich kann nur eine Momentaufnahme vortragen", sagte Reul, "das Ende der Fahnenstange ist lange nicht erreicht." Es gingen immer mehr Hinweise bei seiner Behörde ein - die meisten aus der Polizei selbst. Weshalb Reul die "Selbstreinigungskräfte" seiner Behörde lobte. "Die Mehrheit der Polizistinnen und Polizisten in NRW steht auf der richtigen Seite", so Reul, der auch nicht von einem "strukturellen Problem" in seiner Behörde sprechen wollte. Gleichwohl setzte der Minister einen Sonderbeauftragten ein, der rasch ein Lagebild rechtsextremer Tendenzen in der NRW-Polizei erstellen soll. Seine drängendste Frage sei, so Reul: "Warum entwickeln sich diese Einstellungen bei den Polizisten?"

Am vergangenen Mittwoch hatte Reul sich in einer Mail an alle 56 000 Mitarbeiter und Mitarbeiterinnen der NRW-Polizei gewandt - und dazu aufgerufen, strafrechtlich relevante Inhalte aus dem Kollegenkreis zu melden. Seitdem sind innerhalb eines knappen Tages 16 zusätzliche Verdachtsfälle in der NRW-Polizei gemeldet worden. Ein Mitarbeiter der Polizei Köln habe auf ein geschlossenes Forum namens "net4cops" hingewiesen, in dem bundesweit 770 Bedienstete von Sicherheitsbehörden Mitglied waren. Neun Teilnehmer seien mit rechtsextremistischen Äußerungen aufgefallen; fünf von ihnen stammen aus der NRW-Polizei. Das Forum wurde mittlerweile geschlossen.

31 Polizisten wurden vergangene Woche vorläufig suspendiert

Wenige Stunden bevor Reul im Landtag sprach, war außerdem ein weiterer Beamte des Polizeipräsidiums Essen vom Dienst suspendiert worden. Sein Fall habe aber nichts mit den rechtsradikalen Inhalten in den fünf Chat-Gruppen zu tun, deretwegen 31 Polizisten und Polizistinnen in der vergangenen Woche vorläufig vom Dienst suspendiert worden waren. Die meisten der Beteiligten hatten zumindest zeitweilig in derselben Dienstgruppe in Mülheim an der Ruhr gearbeitet, die zum Polizeipräsidium Essen gehört.

Reul bekräftigte am Donnerstag: "Wer nicht auf dem Boden unserer Verfassung steht, hat in der nordrhein-westfälischen Polizei nichts zu suchen."

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SZ vom 25.09.2020/aner
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