Nordrhein-Westfalen :„Ein Sumpf von Rechtsverstößen“

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„Ich sehe da keinen Anlass“, antwortet NRW-Justizminister Benjamin Limbach auf die Rücktrittsforderung der SPD. (Foto: Christoph Reichwein/DPA)

Die NRW-Landesregierung muss eine brisante Personalentscheidung stoppen – wegen Fehlern im grün geführten Justizministerium. Die Opposition fordert den Rücktritt des Ministers.

Von Christian Wernicke, Düsseldorf

Das hochgradig umstrittene Verfahren zur Kür der Präsidentin für das höchste nordrhein-westfälische Verwaltungsgericht muss neu aufgerollt werden. Das musste NRW-Justizminister Benjamin Limbach (Grüne) am Freitag in Düsseldorf einräumen. Grund sei „ein beachtlicher Fehler“ bei der Beurteilung ausgerechnet jener Bewerberin, die die schwarz-grüne Regierungskoalition im Juni vorigen Jahres per Kabinettsbeschluss ernannt hatte: „Das ärgert mich!“, sagte Limbach. Die Regierung revidiere ihre Entscheidung und starte das Besetzungsverfahren mit aktualisierten Beurteilungen der drei verbliebenen Aspiranten neu.

Die Opposition aus SPD und FDP im Düsseldorfer Landtag deutete die Affäre am Freitag einhellig als „schweren Schaden für die Justiz“. SPD-Fraktionschef Jochen Ott forderte Ministerpräsident Hendrik Wüst (CDU) auf, Limbach unverzüglich zu entlassen. Der rechtspolitische Sprecher der FDP, Werner Pfeil, sprach von „einem Sumpf von Rechtsverstößen“, in den „sowohl das Innen- wie das Justizministerium verstrickt“ seien.

Die Opposition rügt „Bestnoten auf Bestellung“

Auslöser für die jüngste Wende in dem seit mehr als einem Jahr schwelenden Streit war ein Versäumnis bei der Beurteilung der bislang favorisierten Bewerberin für die Leitung des Oberverwaltungsgerichts Münster (OVG). Die Kandidatin, selbst Mitglied der CDU und eine Duzfreundin von Justizminister Limbach, arbeitet seit Sommer 2020 im NRW-Innenministerium. Deshalb fertigte Daniela Lesmeister, seit Juni 2022 Staatssekretärin im Haus von Innenminister Herbert Reul (beide CDU), im Herbst 2022 eine Beurteilung der Abteilungsleiterin an – mit einer überaus positiven Bewertung. Schon dies deutete die Opposition im Landtag inzwischen als „Bestnoten auf Bestellung“.

Staatssekretärin Lesmeister versäumte es jedoch, ihren Amtsvorgänger in die Beurteilung der OVG-Kandidatin einzubeziehen, wie es eine interne Richtlinie des Innenministeriums vorsieht. Denn von Juni 2020 bis Juni 2022 war der frühere Staatssekretär Jürgen Mathies der Vorgesetzte der Bewerberin. Wegen dieses Fehlers sah sich Lesmeister am Montag dieser Woche gezwungen, ihre Beurteilung zurückzuziehen.

Lesmeister tat dies, nachdem die Opposition Anfang November die Nichtbeteiligung von Mathies in einem Untersuchungsausschuss des Landtags angeprangert hatte. Prompt hatte sich daraufhin auch das OVG Münster bei der Landesregierung gemeldet: Man hege nunmehr „erhebliche Zweifel an der Rechtmäßigkeit der dienstlichen Beurteilung“ der bisher gekürten Bewerberin. Das Gericht in Münster ist mit der Causa seiner eigenen designierten Präsidentin ebenfalls befasst: Ein unterlegener Bewerber hatte vorm Bundesverfassungsgericht beklagt, Justizminister Limbach habe ihn per Vorfestlegung auf seine Duzfreundin benachteiligt und damit gegen das im Grundgesetz vorgeschriebene Prinzip der „Bestenauslese“ verstoßen. Zumindest dieses Verfahren dürfte nun eingestellt werden.

Staatssekretärin Lesmeister müsse „ihren Hut nehmen“, verlangt die SPD-Obfrau

Am Freitag verlangte die SPD-Obfrau im Untersuchungsausschuss, Nadja Lüders, wegen der rechtswidrigen Beurteilung solle Staatssekretärin Lesmeister „ihren Hut nehmen“. Auf Anfrage der Süddeutschen Zeitung teilte das NRW-Innenministerium mit, Lesmeister lehne dies ab. Innenminister Reul ließ auf Nachfrage wissen, er wolle seine Vertraute keinesfalls entlassen.

Auch Justizminister Limbach wies am Freitag Forderungen nach seinem Abgang zurück: „Ich sehe da keinen Anlass“, versicherte der Grüne, das Amt mache ihm „Spaß“. Indirekt räumte Limbach am Freitag ein, dass der Streit um das hohe Richteramt einen Imageschaden angerichtet hat: Er rechne damit, dass sich das nun auf Neustart gesetzte Wettrennen um die Präsidentenstelle in Münster zwischen den drei bisherigen Bewerbern entscheiden werde. „Theoretisch können jetzt weitere Bewerbungen eingehen“, sagte der Minister. Aber er wisse nicht, „wer jetzt noch Lust hat, hier ins Rennen einzusteigen“.

Forderungen der Opposition nach einer völlig neuen Ausschreibung der Richterstelle halten Experten im Justizministerium für rechtswidrig. Minister Limbach wies zudem die Forderung der FDP zurück, alle „bisherigen Entscheider“ dürften nicht länger an der Auswahl der OVG-Präsidentin beteiligt werden. Auch das sei „rechtswidrig“. Er sei bereit, sich seinen Kritikern im Landtag zu stellen: „Ich habe nicht den Eindruck, dass sich der Fokus von mir abwendet.“

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