Flutkatastrophe:Laschet: Hilfsfonds muss 20 bis 30 Milliarden Euro umfassen

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Die Unwetterschäden in NRW belaufen sich auf mehr als 13 Milliarden Euro, sagt der Ministerpräsident im Landtag. Das Bundesland will ein neues Hochwasser-Prognosesystem für kleine Flüsse entwickeln.

Der von Bund und Ländern geplante Hilfsfonds für die Flutopfer muss nach den Worten von NRW-Ministerpräsident Armin Laschet ein Volumen von 20 bis 30 Milliarden Euro umfassen. Dies sagte der CDU-Kanzlerkandidat im NRW-Landtag. Die Schäden durch das Unwetter Mitte Juli belaufen sich Laschet zufolge allein in seinem Bundesland nach ersten Schätzungen auf mehr als 13 Milliarden Euro. Die Schäden in Rheinland-Pfalz seien mindestens ebenso hoch.

Die Bundesregierung und die Ministerpräsidenten und Ministerpräsidentinnen der Länder wollen den Fonds am Dienstag auf den Weg bringen. Jetzt sei ein zügiges parlamentarisches Verfahren mit Sondersitzungen von Bundestag und Bundesrat nötig, bekräftigte Laschet. "Ich denke, dass im August noch der Bundestag zusammenkommen kann."

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Nach der Flut fordern Armin Laschet und Malu Dreyer eine Sondersitzung des Bundestages, um rasch einen Wiederaufbaufonds zu beschließen - die Schäden sollen in zweistelliger Milliardenhöhe liegen.

Unter anderem seien mehr als 150 Schulen beschädigt worden, davon mindestens acht so schwer, dass ohne Ausweichlösung nicht einmal ein eingeschränkter Schulbetrieb möglich sei, berichtete Laschet. Zudem seien jeweils über 200 Kitas sowie Arztpraxen geschädigt worden und über 50 Apotheken. "Die Flut vom 14. und 15. Juli war vermutlich die größte Naturkatastrophe, die Nordrhein-Westfalen seit Bestehen der Bundesrepublik getroffen hat", sagte der Ministerpräsident. "Nach all dem, was ich in den letzten Wochen gesehen habe, bin ich immer noch zutiefst erschüttert."

Die Landesregierung setzt nach der Jahrhundert-Flut einen Beauftragten für Wiederaufbau ein, wie Laschet ankündigte. Die Aufgabe werde der Hauptgeschäftsführer der Industrie- und Handelskammer Nordwestfalen, Fritz Jaeckel, übernehmen.

Jaeckel habe bereits in leitenden Funktionen an der Bewältigung der großen Hochwasser-Katastrophen von 2002 und 2013 in Sachsen mitgewirkt und wisse daher genau, was in einer solchen Situation zu tun sei, sagte Laschet. "Der schnelle Wiederaufbau Tausender privater Wohnungen und Häuser, das gab es hier bei uns in Nordrhein-Westfalen wohl seit dem Krieg nicht mehr."

Darüber hinaus habe er den viele Jahre amtierenden Präsidenten der Bundesanstalt Technisches Hilfswerk, Albrecht Broemme, darum gebeten, am Beispiel dieser Flut umgehend zu untersuchen, wie die Städte und Dörfer im Katastrophenfall noch wirksamer geschützt werden könnten. Deutschland müsse beim Katastrophenschutz und bei der Alarmierung besser werden, sagte Laschet. Er habe den Ministerpräsidenten der anderen betroffenen Länder angeboten, dass Broemme auch dort die Situation analysiere.

Bei der Unwetterkatastrophe in NRW und Rheinland-Pfalz waren Mitte Juli mehr als 180 Menschen ums Leben gekommen, darunter allein 47 in NRW.

NRW will Hochwasserprognosesystem für alle kleinen Flüsse

Umweltministerin Ursula Heinen-Esser (CDU) kündigte in einer Sondersitzung des Umweltausschusses zur Flutkatastrophe an, in Nordrhein-Westfalen solle ein Hochwasserprognosesystem für alle kleinen Flüsse entwickelt werden.

Bislang gebe es einen systematischen Hochwasserschutz nur für die großen Flüsse wie den Rhein. Während der Katastrophe hätten aber gerade die kleinen Flüsse teils historisch hohe Scheitelwasserstände erreicht. Die fehlende Prognosefähigkeit sei das Hauptproblem bei dem Jahrhundert-Unwetter gewesen, sagte Heinen-Esser. Verlässliche und lokal präzise eingegrenzte Einschätzungen seien nicht möglich gewesen.

Experten schätzten, dass eine Hochwasser-Katastrophe dieses Ausmaßes alle 10 000 Jahre passiere. Zudem sei ein Talsperren-Management nötig, das mithilfe digitaler Technik sowohl auf Trockenheit wie auf Hochwasser rechtzeitiger reagieren könne. Es könne aber nicht gesagt werden, dass das Talsperren-Management insgesamt versagt hätte, sagte die Ministerin. Generell müsse das Wohnen, Leben, Arbeiten und die Stadtentwicklung besser an den Klimawandel angepasst werden. Es könne nicht alles genauso wiederaufgebaut werden wie es zuvor gewesen sei. Weitere Hochwasser-Ereignisse könnten dennoch nicht komplett verhindert werden, sagte Heinen-Esser.

Innenministerium weist Vorwürfe gegen Laschet zurück

Die SPD im Düsseldorfer Landtag wirft der Landesregierung "Ungereimtheiten" bei ihren Erklärungen zum Krisenmanagement vor und hat sie in einem 24-seitigen Papier zusammengefasst. Die Opposition fragt darin unter anderem, warum die Landesregierung die Menschen nicht gewarnt hat und warum der Krisenstab des Landes nicht aktiviert wurde. Das Innenministerium wies die Vorwürfe zurück.

Das SPD-Papier, über das zuerst die Rheinische Post berichtet hatte, führt zunächst auf 16 Seiten nachträgliche Chronologien von zwei meteorologischen Diensten auf. Als Schlussfolgerung der Fraktion heißt es: "Es gilt daher lückenlos aufzuklären, wie die Landesregierung ganz konkret seit Eingang der Warnungen vor extremen Niederschlägen mit den Informationen umgegangen ist." Noch am Donnerstag nach der Flutkatastrophe sei Laschet auf Wahlkampfterminen außerhalb von NRW gewesen, so die SPD: "Wieso hat er nicht seit Mittwoch die Fäden in die Hand genommen und den Krisenstab des Landes aktiviert?"

Das Innenministerium teilte auf Anfrage zum Thema Warnungen mit, der Deutsche Wetterdienst (DWD) sei die "zuständige Institution für die amtliche Übermittlung von Wetterwarnungen". Sie seien den Rundfunkanstalten "nach unserer Kenntnis zugegangen", so das Ministerium. Das Land NRW habe mit dem DWD zudem eine Vereinbarung getroffen, wonach der Wetterdienst seine Warnungen dem Lagezentrum der Polizei, den Bezirksregierungen, Kreisen und kreisfreien Städten unmittelbar zukommen lasse: "So geht durch eine Weiterleitung des Landes keine Zeit verloren."

Auf die Frage nach dem Krisenstab antwortete das Ministerium, es habe am 13. Juli - dem Dienstag - eine "Landeslage zur nichtpolizeilichen Gefahrenabwehr" eingerichtet. Diese diene dazu, "Einsatzschwerpunkte zu erkennen und die erforderliche überörtliche Hilfe zu organisieren". Am Nachmittag des Mittwochs - als unter anderem Hagen und Altena bereits stark betroffen waren - habe das Innenministerium die "Koordinierungsgruppe des Krisenstabs der Landesregierung" aktiviert. "In diesem Stab unter Leitung von Minister Reul wurden Entscheidungen zu allen lagerelevanten Aspekten abgestimmt und getroffen. Die jeweils zuständigen Ministerien haben diese dann nach dem Ressortprinzip umgesetzt", so das Ministerium.

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