Süddeutsche Zeitung

Kommunalwahl in NRW:Wenn der grüne Traum Wirklichkeit wird

Im einst roten Nordrhein-Westfalen holen die Grünen die Oberbürgermeister-Sessel in Bonn, Aachen und Wuppertal. Das zeigt, welche Schlüsselrolle der Partei im Land inzwischen zufällt.

Von Benedikt Müller-Arnold, Jana Stegemann und Christian Wernicke, Köln/Dortmund/Düsseldorf

Der grüne Traum ist Wirklichkeit geworden. Katja Dörner hat geschafft, was es noch nie in Nordrhein-Westfalen gab: Sie hat am Sonntag mit 56 Prozent für die Grünen einen Oberbürgermeister-Sessel in einer Großstadt erobert. Und dann auch noch in Bonn, der früheren Bundeshauptstadt. Dabei hatte ihr Vorgänger und CDU-Konkurrent Ashok-Alexander Sridharan erst bei der letzten Kommunalwahl das rote Bonn nach 21 Jahren durchgängiger SPD-Regentschaft geknackt. Und war mit Amts- und Promibonus angetreten. Denn auch einen wie Sridharan gab es noch nie in einer deutschen Großstadt, einen Oberbürgermeister mit Migrationshintergrund. Doch es sollte für ihn bei einer Amtszeit bleiben.

Jetzt gibt es einen historischen Machtwechsel in der schmucken Studentenstadt. Die 44-jährige Dörner wechselt nach zehn Jahren im Bundestag, zuletzt als stellvertretende Fraktionsvorsitzende der Grünen, von der Spree an den Rhein.

In Dortmund allerdings verlor Schwarz-Grün. Thomas Westphal, der 53-jährige SPD-Kandidat, hat geschafft, was manche SPD-Mitglieder klammheimlich kaum mehr für möglich hielten: die SPD hat wenigstens ihre Trutzburg gehalten, die beinahe letzte Festung im Ruhrgebiet.

Nadja Lüders, die örtliche Parteichefin, ringt sich um 19 Uhr an Westphals kräftiger Schulter nach oben, herzt ihn, reicht ihm einen Strauß roter Blumen. Und aus dem Hintergrund des "Saal Westfalia" ruft ein Genosse: "Die Herzkammer gehört uns!" Die seit 74 Jahren ungebrochene Herrschaft der Sozialdemokraten in ihrer von Herbert Wehner so getauften "Herzkammer" währt weiter. Wohl mindestens fünf Jahre, auch wenn der neue OB im Rat der Stadt sich nun seine Mehrheiten suchen muss. Die SPD hat dort etliche Mandate verloren im ersten Wahlgang der NRW-Kommunalwahl, und CDU und Grüne sind dort stärker denn je.

Ansonsten kann sich die SPD an diesem Abend kaum freuen. Doch ein paar Lichtblicke gibt es für die Genossinnen und Genossen: In Mönchengladbach gewann der erst 31-jährige Felix Heinrichs deutlich mit 74 Prozent gegen den CDU-Kandidaten - und ist damit jetzt der jüngste Oberbürgermeister des Landes.

Vielerorts fällt den Grünen im Land inzwischen die Schlüsselrolle zu

Das bevölkerungsreichste Bundesland Nordrhein-Westfalen erlebte am Sonntag den zweiten Durchgang seiner Kommunalwahlen - und zugleich die erste Abstimmung in einer neuen politischen Ordnung. Am 13. September hatten die Grünen in Nordrhein-Westfalen ihr landesweites Resultat auf 20 Prozent fast verdoppelt und sich so als dritte, nun "große" Partei neben der SPD (24,3 Prozent) und der CDU (34,3 Prozent) etabliert.

Lange hatten die Sozialdemokraten im Land den Ton angegeben und gute Wahlergebnisse eingefahren. An diesem Sonntag rangen die drei Parteien nun um die Trophäen im Land: In Metropolen wie der Millionenstadt Köln, der Landeshauptstadt Düsseldorf oder auch in der einstigen SPD-Hochburg Dortmund hatte vor 14 Tagen kein Bewerber die absolute Mehrheit gewonnen. Also kam es jetzt zum Duell ums Rathaus.

Dabei wurde vielerorts deutlich, welche Schlüsselrolle den Grünen im Land inzwischen zufällt. Ausgerechnet die Heimatstadt von CDU-Ministerpräsident Armin Laschet fällt ebenfalls an eine Grüne. Die 56-jährige Diplom-Pädagogin Sibylle Keupen besiegte den schwachen CDU-Konkurrenten mit 67,4 Prozent. Der Grünen-Politiker Uwe Schneidewind wurde zum neuen Oberbürgermeister von Wuppertal gewählt. Der 54-jährige gemeinsame Kandidat von Grünen und CDU setzte sich gegen den SPD-Amtsinhaber mit 53,5 Prozent der Stimmen durch.

Armin Laschet freute sich am Abend besonders über das Ergebnis in Düsseldorf. Die Düsseldorfer und Stephan Keller hätten "die Ehre der CDU gerettet", sagte Laschet. Der Jurist und CDU-Mann Keller hat in der NRW-Landeshauptstadt gewonnen. Der 50-Jährige triumphierte mit 56 Prozent vor SPD-Amtsinhaber Thomas Geisel. Keller ist bislang Stadtdirektor in Köln und war zuvor Ordnungs- und Verkehrsdezernent in Düsseldorf. Mit seinem Sieg stellt die CDU erstmals wieder in der Landeshauptstadt eines großen Bundeslandes den Oberbürgermeister. Für die SPD ist der Verlust von Düsseldorf eine weitere Schlappe. Auch Mülheim an der Ruhr fiel an die CDU. Und in Oberhausen und Münster wurden die CDU-OBs bestätigt.

Als heimliche grüne Oberbürgermeisterin gilt vielen NRW-Grünen auch längst Henriette Reker. Die parteilose Juristin, die seit 2015 die Domstadt regiert, wird als Schwarzgrüne von der CDU mitgetragen. Vielen in der lokalen Union ist die 63 Jahre alte Amtsinhaberin allerdings längst "zu grün". So hatte sich Reker vor der Wahl gegen einen Ratsbeschluss gestellt, der dem 1. FC Köln den Ausbau seines Trainingszentrums in einem Grüngürtel erlaubte. Am Abend freute sich Reker über ihre nächste Amtszeit. Nach Auszählung fast aller Stimmbezirke lag sie am Sonntag nach Angaben der Stadt mit etwa 60 Prozent der Stimmen uneinholbar vor ihrem SPD-Herausforderer Andreas Kossiski.

Erst als mehr als 80 Prozent der Stimmbezirke ausgezählt sind, betrat die Amtsinhaberin das Rathaus, sie strahlt. Bis Samstagabend habe sie noch um Stimmen gekämpft: "Ich freue mich, dass es so deutlich ausgefallen ist." Für sie gehe es nun um die Frage, wie die Stadt und ihre Wirtschaft die Corona-Krise bewältigen werde, sagte Reker. Ihr oberster Corona-Krisenmanager Stephan Keller wird ihr dabei nicht mehr helfen. Ob sie nun einen Urlaub einlegen werde, wird Reker gefragt. "Man kann ja sowieso nirgendwo hinfahren", antwortet sie, "also bleibe ich in Köln."

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SZ vom 28.09.2020/cat
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